Bei der Betrachtung von Kunst- und Kulturschaffenden mit Behinderung gibt es immer den engen Grad zwischen Förderung und von hinderlichem Schutz. Wenn Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung ernst genommen werden wollen, ist es unerlässlich, Leistungen gleich zu bewerten.
Auf der einen Seite müssen sich einige der Grundbedingungen ändern, damit es freiberuflich arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung überhaupt möglich ist, kontinuierliche Leistungen zu bringen und hochwertige Ergebnisse erzielen zu können. Auf der anderen Seite erscheint es nicht sinnvoll, ständig besondere Wertigkeiten in die Kunst von Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung zu legen, sondern diese im Kontext des Kunstbetriebs insgesamt zu betrachten.
Kunstmarkt und Kunst- und Kulturschaffende mit Behinderung
Der Kunst- und Kulturmarkt ist für alle freischaffenden Künstlerinnen und Künstler hart umkämpft und schwierig; Arbeitsräume und Fördermittel sind begrenzt, Nebenjobs rar und wer auf staatliche Unterstützung, etwa Grundsicherungsmittel durch das Jobcenter, angewiesen ist, kämpft mit Paragraphen und Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern. Und diese Dinge müssen alle neben der eigentlichen, künstlerischen Arbeit bewältigt werden.
Strukturen und Freiberuflichkeit – Möglichkeiten und Barrieren bei Schaffensprozessen
Die Struktur des Künstleralltags bewegt sich, wie bei Kunstschaffenden ohne Behinderung, ständig irgendwo zwischen der Beschaffung des Lebensunterhalts, Stipendien und Verkäufen, der Weiterbildung und der Orientierung innerhalb des Kunstbetriebs durch Seminare und Kunstevents und dem ständigen Bestreben, Öffentlichkeit für die eigene Arbeit zu schaffen.
Dazu kommt immer wieder die Notwendigkeit der staatlichen Förderung. Das gilt insbesondere für Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung, z. B. gegenüber dem Jobcenter, wiederholend die eigene Arbeitstauglichkeit beweisen zu müssen, medizinische Atteste vorzulegen und der permanenten Einladung in die Frührente zu widersprechen.
Ebenso existenziell für freiberuflich arbeitende Künstlerinnen und Künstler, und in besonderem Maße für Kunstschaffende mit Behinderung, sind die Absicherungen durch eine freiwillige Krankenversicherung und die Möglichkeit der Altersversorgung – in diesem Fall der Beitritt zur Künstlersozialkasse. Da sich Künstlerbiografien und oftmals auch der wirtschaftliche Erfolg bei Kunstschaffenden mit Behinderung langsamer entwickeln, steht der Aufnahme in die Künstlersozialkasse oft der von der Kasse geforderte Mindestumsatz im Weg. Es wäre unbedingt notwendig zu prüfen, ob in diesem Fall gesonderte Aufnahmekriterien einen inklusiven Effekt erzielen würden.
Bewusstseinsbildung für inklusive Strukturen
Ein großer Teil des Arbeitsfelds von Kunstschaffenden mit und ohne Behinderung, beinhaltet das Agieren als Nutzende innerhalb des Kunstbetriebs. Es ist absolut notwendig, dass der gesamte Kunst- und Kulturbetrieb zunehmend inklusivere Strukturen schafft. Dazu gehören möglichst Barrierefreiheit bei kulturellen Veranstaltungen oder auch ausreichend Parkraum vor den Veranstaltungsorten. In den Fällen, wo dies nicht uneingeschränkt möglich ist, sollten vorab immer auch alternative Lösungen kommuniziert werden. Es sollte zudem verstärkt zu einer Sensibilisierung von Mitarbeitenden kommen: So wie es Sicherheitsschulungen gibt, könnte es gleichwertig Schulungen zum Thema Barrierefreiheit und Inklusion geben.
Stärkung von Netzwerken
Sich miteinander zu verknüpfen, in regem Austausch zu stehen und sich gegenseitig zu fördern, ist für freiberuflich arbeitende Professionelle essenziell. Besonders freiberufliche Kreative sind auf gute Netzwerke angewiesen. Das gilt für Kunstschaffende mit und auch ohne Behinderung gleichermaßen. Allerdings sollte auch hier der Fokus eher weniger auf speziell inklusiven Netzwerken liegen. Letztere machen lediglich für ganz konkrete Bereiche, wie etwa behindertengerechtes Arbeitsmaterial oder Hilfsmittel, Sinn. Berufliche Vernetzungen im Weiteren bedürfen keinerlei Spezifizierung auf die Behinderung.
Stipendien
Einen erheblichen Anteil, um sich vor allem als junge Künstlerin oder junger Künstler im Kunstmarkt etablieren und auch finanzieren zu können, stellen Stipendien und Künstlerresidenzen dar. Bisher wird in solchen Ausschreibungen, ähnlich wie bei Jobausschreibungen, noch sehr selten besonders betont, dass natürlich auch Menschen mit Behinderung eingeladen sind, ihre Bewerbungen abzugeben. Es gilt zwar die Politik der formalen Chancengleichheit, die aber bei Erhalt eines solchen Stipendiums für Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung de facto nicht besteht, da innerhalb des Stipendiums- oder des Residenzrahmens weder auf besondere finanzielle Bedarfe, barrierefreie Arbeitsräume oder die spezielle Anfahrt noch auf die Notwendigkeit einer Assistenz eingegangen werden kann. Es wäre also sehr begrüßenswert, innerhalb der bestehenden Ausschreibungen und Programme, flexible Budgets und Regelungen zu etablieren, für die Fälle, in denen Kunstschaffende mit Behinderung sich entsprechend qualifiziert haben. Darüber hinaus sollten diese Möglichkeiten der besonderen Bedingungen bereits in den Ausschreibungen kommuniziert werden.
Best-Practice-Beispiele
Die besten Beispiele für eine gelungene Inklusion freiberuflicher Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung sind natürlich jene, die innerhalb des Kunstmarkts kein besonderes Labeling erfahren und die stabilen finanziellen Erfolg vorweisen können. Dazu zählen etwa Kunstschaffende, wie der amerikanische Maler Chuck Close oder der deutsche Bassbariton Thomas Quasthoff, deren Behinderungen keine permanenten Sondererwähnungen erfahren, sondern deren Arbeit vielmehr im Fokus der öffentlichen Betrachtung liegt. Alles andere, wie Galerien oder Veranstaltungen, die sich gezielt der Publikation von Kunst widmen, die von Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung geschaffen wurden, oder die sich speziell inklusiv ausgerichtet darstellen, schaffen zwar Aufmerksamkeit für die Thematik, aber damit gleichzeitig auch wieder besondere Schutzräume, die wirklicher Chancengleichheit und Inklusion eher kontraproduktiv gegenüberstehen.