Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema „Präsenz von Schauspielerinnen und Schauspielern mit Behinderung in Presse, Funk und Fernsehen“ und basiert auf persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen aus meiner über 15-jährigen Tätigkeit als Kulturschaffender in Oberösterreich.
Die Ausführungen enthalten keinerlei wissenschaftliche Belege, sondern sind der Versuch einer persönlichen Zusammenfassung der Beobachtungen, sowohl im inklusiven als auch – und das in wesentlich umfangreicherer Form – im nicht inklusiven Kulturbetrieb in Österreich. Das Angebot an inklusiver Kunst ist in Österreich naturgemäß wesentlich kleiner als in Deutschland. Und auch die Qualität des Dargebotenen hinkt der des Nachbarlands in vielen Fällen stark nach. Theatergruppen von der Qualität, wie sie zum Beispiel das Theater Rambazamba, das Atelier Blaumeier oder das Theater Thikwa bieten, sind in Österreich nur schwer zu finden.
Persönlicher Zugang zu Behinderung und Nichtbehinderung
Erste Berührungspunkte mit dem Thema Behinderung hatte ich als Schauspieler am Landestheater Linz, als ich in einem Stück mit dem Titel „Eines schönen Tages“ die Rolle eines Menschen mit geistiger Beeinträchtigung besetzen sollte. In der Vorbereitung darauf stellte sich die zentrale Frage: Wie spielt man einen Menschen mit Beeinträchtigung möglichst authentisch, ohne in übliche Klischees und Plattitüden zu verfallen? Hilfreich war die Rezeption von Filmen, in denen namhafte Schauspielgrößen Menschen mit Beeinträchtigung darstellen. Darüber hinaus gab es die Theatergruppe Malaria der Diakonie in Gallneukirchen. Das Ensemble aus Schauspielerinnen und Schauspielern mit geistiger Beeinträchtigung widmete sich fünf Tage in der Woche ausschließlich ihrer Theaterarbeit und brachte alle zwei Jahre eine selbst erarbeitete Theaterproduktion heraus.
Hier hospitierte ich mehrere Tage, nahm an gemeinsamen
Proben, Improvisationen und am Schauspiel teil. Diese fast 20 Jahre zurückliegende
Begegnung hat mein Bild von Menschen mit Beeinträchtigung wesentlich und
nachhaltig – und ohne Sozialromantik – geprägt. Bei Malaria traf ich Menschen,
die sowohl offen, interessiert, teilweise sehr besonders, skurril und fröhlich
waren als auch anstrengend, bockig, unwillig und teilweise sogar
aggressiv; auf sympathische und weniger sympathische, begabte und weniger begabte,
auf sich selbst überschätzende und bescheidene – also auf Menschen, die das
gesamte Charakterspektrum, das ich vom Theater her kannte, repräsentierten.
Besonders beeindruckte mich die Ernsthaftigkeit, mit der sich die
Ensemble-Mitglieder dem Theater widmeten, die Selbstverständlichkeit und Überzeugung,
mit der sie sich als Schauspieler bzw. Schauspielerin bezeichneten und ihre
Direktheit und Klarheit in ihrem Ausdruck. Ihre Hingabe und Begeisterung für
das Theater lässt sich an der Antwort eines Jungen auf die Frage, wie sie denn
auf den doch sehr besonderen Namen Malaria für ihre Theatergruppe gekommen seien,
demonstrieren: „Malaria ist eine tropische Fieberkrankheit. Und wir fiebern für
das Theater.“ Besser, kürzer und einprägsamer lässt sich eine Leidenschaft
nicht beschreiben.
Im Jahr 2005 trat das Land Oberösterreich an mich als Leiter des Internationalen Theaterfestivals SCHÄXPIR, das alle zwei Jahre 40 bis 50 internationale und heimische Theater- und Tanzproduktionen für ein junges Publikum nach Linz einlädt, mit dem Ansinnen heran, ein internationales integratives Kulturfestival zu organisieren. Die Beteiligung inklusiver Ensembles oder Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung sah SCHÄXPIR nicht vor und es gab in Oberösterreich keine Alternative, um inklusive Kunst einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
2007 ging das erste internationale integrative Kulturfestival „sicht:wechsel“ mit großem Erfolg in Linz über die Bühne und wird 2019 bereits seine 5. Ausgabe feiern. In den zehn Jahren des Bestehens ist es in zunehmendem Maße gelungen, inklusive Kunst als wertvollen Bestandteil des Kulturlebens in Oberösterreich zu etablieren. Bis zur Gleichstellung und Gleichbehandlung mit nicht inklusiver Kunst ist es allerdings noch ein weiter und mühsamer Weg, wie die folgenden Beispiele zeigen werden.
Inklusive Ensembles bei nicht inklusiven Festivals und Veranstaltungen
Vor dem Hintergrund von „sicht:wechsel“ steht auch der Versuch, zunehmend inklusive Ensembles und Künstlerinnen und Künstler mit Beeinträchtigung auch bei nicht explizit inklusiven Veranstaltungen und Festivals einzubinden.
Festivals haben in der Regel den Auftrag, mit außergewöhnlichen, innovativen und vielleicht auch provozierenden Produktionen und Projekten neue künstlerische Wege zu suchen, die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und politischen Themen der Zeit zu ermöglichen und neue Impulse zu setzen. Die Suche nach außergewöhnlichen Inhalten und Formen, das Aufbrechen alter überkommener Strukturen und Sichtweisen stehen daher im Zentrum jeder Festivalplanung – stets unter dem Aspekt der künstlerischen Hochwertigkeit und Besonderheit. So lautete der Auftrag des Oberösterreichischen Landeshauptmanns als Finanzier für SCHÄXPIR und „sicht:wechsel“ unmissverständlich: „Außergewöhnliches in hoher künstlerischer Qualität für eine kunst- und kulturinteressierte Bevölkerung anbieten!“ Diesen Auftrag erweitern beide Festivalkonzepte, indem die Produktionen Visionen einer möglichen künstlerischen Entwicklung für die heimischen Kulturschaffenden aufzeigen.
Zwei zentrale Fragen werden vonseiten der Medien sowie des Publikums in fast allen Diskussionen und Gesprächsrunden gestellt: 1) Was ist Kunst? Oder anders: Wann ist eine kreative Äußerung eines Menschen Kunst und wann ist sie nur Kunsthandwerk oder kreatives Hobby? 2) Was ist professionell? Oder anders: Welche Kriterien muss ein Künstler, eine Künstlerin oder ein Werk erfüllen, um als professionell wahrgenommen und eingestuft zu werden? Beide Fragen spielen bei der Auswahl eines Ensembles bzw. einer Produktion für ein Festivalprogramm – ob inklusiv oder nicht inklusiv – eine elementare Rolle. Die beiden Fragen sind aber auch zentrale Kriterien für Journalistinnen und Journalisten, wenn es um die Beurteilung und Rezension eines künstlerischen Werks geht.
Meines Erachtens lassen sich die Fragestellungen: Was ist Kunst? und Was ist professionell? nicht letzt- und allgemeingültig beantworten, da viele unterschiedliche Meinungen und Theorien zur Beantwortung berechtigt nebeneinanderstehen.
Doch ist die Beantwortung dieser beiden Fragen denn auch wirklich maßgeblich? Ob eine Theateraufführung den Kunstkriterien entspricht oder nicht, ob ein Ensemble als professionell eingestuft wird, weil es zum Beispiel von ihrer künstlerischen Arbeit lebt oder nicht, spielt bei der Entscheidung für oder gegen eine Gruppe, eine Künstlerin oder einen Künstler oder eine Produktion eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist es, ob das Dargebotene das Publikum inhaltlich anspricht und interessiert, berührt, begeistert, vielleicht sogar in Staunen versetzt, ob die künstlerischen Mittel, die eingesetzt werden, den Inhalt transportieren, die Fantasie anregen und die Auseinandersetzung mit einem Thema vertiefen. Natürlich beinhalten diese Kriterien auch handwerkliche und ästhetische Beobachtungen. Aber oftmals ist es ja gerade das Nicht-Vollkommene, das Unperfekte, Unfertige, das Verschiedene, das interessant und spannend ist, weil es uns authentisch und direkt erreicht. Diese Kriterien gelten für inklusive wie auch für nicht inklusive Kunst.
Im Jahr 2009, als Linz Kulturhauptstadt Europas war, ist es gelungen, inklusive Kunst ganz selbstverständlich und ohne besonderen Hinweis darauf auch bei nicht inklusiven Festivals und Veranstaltungen einzubinden. Präsentiert wurden herausragende inklusive Theater- und Tanzproduktionen im Rahmen der herkömmlichen Programme der Kulturhauptstadt – schwerpunktmäßig auf das ganze Jahr verteilt. Das australische Back to Back Theatre präsentierte nicht nur seine preisgekrönte Produktion „Full Metal Objects“ in Linz, sondern erarbeitete auch mit über 40 heimischen Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigung eine große Produktion vor Ort und brachte sie im öffentlichen Raum auf die Bühne. Die mediale Aufmerksamkeit, die über die umfangreichen Werbemaßnahmen der Kulturhauptstadt auch den inklusiven Ensembles und Produktionen zugutekam, haben in Oberösterreich die Existenz inklusiver Kunst überhaupt erst bekannt gemacht.
Schwieriger gestaltete sich die Ausweitung des Festivalprogramms von SCHÄXPIR auf inklusive Produktionen. 2011 etwa gastierte das Theater Hora mit ihrer Produktion „Disabled People“ in Linz. Die Idee, mit dieser Produktion das Festival zu eröffnen und sich damit für inklusive Kunst stark zu machen, scheiterte am mangelnden Mut der für das Festival verantwortlichen Politikerinnen und Politiker in Oberösterreich, Neues zu wagen.
Aber auch inklusive Theater- und Tanzensembles selbst reagieren zum Teil verhalten, wenn es um die Präsentation ihrer Produktionen im Rahmen eines originär nicht inklusiv angelegten Festivals geht. Der jährlichen Einladung zum Kulturevent „Lange Nacht der Bühnen“ etwa folgte bislang nur die Theatergruppe „Pro Mente“. Alle anderen wollen sich offenbar dem Vergleich mit den zahlreichen Theatern und nicht inklusiven Ensembles nicht stellen. Daran wird ein Dilemma sichtbar, in dem sich viele inklusive Kulturschaffende in Oberösterreich befinden: Auf der einen Seite gibt es den berechtigten Wunsch, mit ihrer Kunst im großen Kulturbetrieb gleichberechtigt wahrgenommen zu werden und bestehen zu können. Auf der anderen Seite fehlt vielen scheinbar das nötige Selbstbewusstsein, aus dem mehr oder weniger geschützten Bereich der Institutionen herauszutreten und sich damit auch der Kritik eines anderen, vorwiegend theaterinteressierten Publikums und der Medien zu stellen.
Dieses Selbstbewusstsein lässt sich allerdings erlernen und aufbauen: durch kontinuierliche künstlerische Aufbauarbeit und Weiterbildung, durch Zusammenarbeit und Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern und indem sich Ensembles immer wieder dem Publikum stellen.
Entscheidungskriterien für oder gegen inklusive Gruppen bei „sicht:wechsel“[1]
„sicht:wechsel“ versteht sich als Plattform für inklusive Kunst, die Menschen mit Beeinträchtigung in ihrem künstlerischen Erfahrungsaustausch und in ihrer aktiven Teilhabe an Kunst und Kultur stärken und damit auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern möchte. Das Festival gibt Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigung eine Bühne für ihre Kunst. Den Zuschauerinnen und Zuschauern bietet „sicht:wechsel“ die Chance, Künstlerinnen und Künstler mit Beeinträchtigung in einem anderen Licht zu sehen: „Staunen statt Mitleid. Partizipation statt Verstecken“ ist hier das Credo.
Die große Herausforderung bei der Programmierung des Festivals ist es, ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen den großen internationalen Gastspielen mit hohem künstlerischem Anspruch, die das Herzstück des Festivalprogramms darstellen, und den Präsentationsmöglichkeiten der heimischen Szene, die in vielen Fällen diesem Anspruch noch etwas hinterherhinken, herzustellen.
Die Begehrlichkeiten, bei einem Festival aufzutreten, sind üblicherweise sehr groß. Demgegenüber steht oftmals allerdings ein Missverhältnis zwischen der Eigenwahrnehmung eines Ensembles und der Außenwahrnehmung durch das Publikum. Bei Auftritten in den eigenen Institutionen bekommen die Künstlerinnen und Künstler ausschließlich Lob und Anerkennung von Familienmitgliedern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Kontext eines internationalen Festivals aber verblassen diese Erfolge nicht selten und die Enttäuschung bei allen Beteiligten ist entsprechend groß. Hier gilt es, mit Feingefühl und Sensibilität Modelle zu entwickeln, welche die heimischen Künstlerinnen und Künstler in ihren Bestrebungen stärken und fördern, statt sie zu entmutigen. Oft mangelt es diesen Ensembles zum Beispiel an einer entsprechend ausgebildeten Führungsperson. Gerade im Theaterbereich arbeiten nicht selten theaterinteressierte und theaterbegeisterte Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen als Spielleitungen mit bescheidenen handwerklichen Grundkenntnissen. „sicht:wechsel“ stellt den Ensembles erfahrene Regisseure, Ausstatterinnen oder Choreografen zur Seite, die ihnen neue Impulse für die Theaterarbeit liefern. Die Einbindung von nicht beeinträchtigten Schauspielerinnen und Schauspielern ins Ensemble und verschiedene Fortbildungsangebote im Rahmen des Festivals mit namhaften Lehrenden ergänzen dieses Angebot.
Koproduktionen heimischer Gruppen mit renommierten internationalen Ensembles bringen neue Arbeitsweisen und Ansätze und bieten die Möglichkeit, zum Beispiel neue Darstellungsformen kennenzulernen. All diese Ansätze dienen der Qualitätsverbesserung und Professionalisierung der kulturellen Arbeit vor Ort.
Dass bei der Entscheidung für oder gegen eine große
internationale
Produktion neben den finanziellen, technischen und organisatorischen Überlegungen
natürlich die künstlerischen und inhaltlichen Kriterien eine wesentliche Rolle
spielen (müssen), versteht sich von selbst. Meist ist es aber ein Kompromiss
zwischen künstlerischer Vision und finanziell Machbarem, der am Ende ein
Festivalprogramm bestimmt. Dies gilt für den inklusiven Kulturbereich noch viel
mehr als für den nicht inklusiven, denn die finanziellen Mittel, die in
Österreich für inklusive Kunst zur Verfügung gestellt werden, liegen immer noch
weit unter denen, die für nicht inklusive Kunst bereitstehen. Auch hier wäre
eine Gleichstellung und Gleichbehandlung vonseiten der Fördergeber dringend
notwendig und wünschenswert.
Inklusive Kunst und Medien
In Österreich sind deutliche Unterschiede im Umgang der Medien mit inklusiver und nicht inklusiver Kunst zu erkennen:
- Die überregionale Berichterstattung, auch über große internationale inklusive Festivals, findet (mit einigen wenigen Ausnahmen) so gut wie nicht statt.
- Die Berichterstattung beschränkt sich somit fast ausschließlich auf regionale Medien.
- Diese regionalen Medien sind interessanterweise bei inklusiven Veranstaltungen eher und in wesentlich größerem Ausmaß bereit, im Vorfeld mit Vorberichten für die Veranstaltung zu werben, als sie das für nicht inklusive Veranstaltungen tun.
- Diese Vorberichte erscheinen dafür aber weniger auf den Kulturseiten, sondern vorwiegend auf Sozial- bzw. Regionalseiten der Zeitungen.
- Rezensionen der dargebotenen künstlerischen Leistungen finden eher selten und eigentlich nur in Ausnahmefällen, bei besonders bekannten oder prominenten Künstlerinnen und Künstlern bzw. Ensembles statt.
Mit dem eher raren Interesse der Journalistinnen und Journalisten ist auch das Festival „sicht:wechsel“ von Beginn an konfrontiert. 2009 gab es, nicht zuletzt wegen der wesentlich größeren und umfangreicheren Werbemaßnahmen der Kulturhauptstadt, einen leichten Aufschwung, vor allem bei den Vorberichten. Die Zahl der Rezensionen hielt sich aber immer noch in bescheidenen Grenzen.
Zur verbesserten Pressearbeit für das Festival im Jahr 2012, die auch die Wünsche der heimischen Kulturschaffenden fokussierte, wurde ein eigener Arbeitskreis aus Kulturschaffenden der inklusiven oberösterreichischen Szene eingerichtet. Die Wünsche waren erwartungsgemäß klar:
- Die Künstlerinnen und Künstler möchten in den Medien als Kulturschaffende wahrgenommen und vor allem ernst genommen werden.
- Das beinhaltet in erster Linie eine ehrliche, ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit ihrem Werk,
- aber – und das ist ganz wichtig – unter Berücksichtigung ihrer speziellen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Umstände.
Dieser Arbeitskreis veranstaltete ebenfalls eine Podiumsdiskussion zum Thema „Professionelle Schreibhemmung – Inklusive Theaterarbeit und die öffentliche Kritik im Rahmen des Festivals“, zu der Medienvertreter und -vertreterinnen der heimischen Zeitungen sowie Kulturschaffende eingeladen waren. Diese Podiumsdiskussion erörterte folgende Fragestellungen:
- Ist inklusive Kunst überhaupt als professionelle Kunst zu werten?
- Können dafür dieselben Kriterien bei der Beurteilung herangezogen werden oder müssen andere, mildere Beurteilungskriterien angesetzt werden?
- Ist es sinnvoll und richtig, inklusive Kunst zu beurteilen bzw. zu werten?
- Darf man Menschen mit Behinderung überhaupt kritisieren oder entziehen sie sich durch ihre Behinderung nicht per se jeglicher Kritik?
Aufseiten der Medienvertreterinnen und -vertreter zeigte sich eine generelle Unsicherheit und Ratlosigkeit im Umgang mit inklusiver Kunst. Verstärkt wurde diese Unsicherheit durch die Forderung der Kunstschaffenden, dass dadurch, dass es sich bei inklusiven Ensembles um „besondere“ Menschen handele, nicht die gleichen Beurteilungskriterien angesetzt werden dürften wie bei Künstlerinnen und Künstlern ohne Behinderung. Zusammenfassend lässt sich provokant ihr Wunsch formulieren: Rezensionen sind erwünscht – aber nach Möglichkeit nur positive!
Die Verunsicherung auf beiden Seiten verschärfte sich im Verlauf des Festivals weiterhin: So weigerte sich letztlich die auflagenstärkste Zeitung des Landes, die „Kronen Zeitung“ (vergleichbar mit der deutschen „Bild“), über die restlichen Gastspiele beim Festival zu berichten.
Die „OÖ-Nachrichten“, die wichtigste, weil meinungsbildende Zeitung des Bundeslands, entschied, auf das Punktesystem, das üblicherweise die Beurteilung unter jeder Rezension zusammenfasst, bei Veranstaltungen mit Menschen mit Behinderung (wie auch bei jenen von Amateurtheateraufführungen) in Zukunft zu verzichten.
Bei einer Aufführung eines Volksstücks einer oberösterreichischen Theatergruppe im Rahmen des Festivals kam es schließlich zum Eklat, an dem die Hilflosigkeit der Journalistinnen und Journalisten im Umgang mit inklusiver Kunst besonders deutlich wird: Die zuständige Kulturressort-Leiterin der „OÖ-Nachrichten“ gab wortreich und ausführlich telefonisch ihren Unmut über die Aufführung kund: Es fehle den Darstellern und Darstellerinnen an sämtlichen handwerklichen Voraussetzungen, sich auf eine Bühne stellen zu dürfen. Die ohnehin dünne Handlung sei nicht nachvollziehbar, langweilig und würde Klischees im Übermaß bedienen. Die Aufführung sei insgesamt eine Zumutung für das Publikum und hätte keinerlei Berechtigung auf einer Kulturseite erwähnt oder gar besprochen zu werden. Sie habe sich trotzdem den Ärger von der Seele geschrieben, sei sich aber jetzt nicht mehr sicher, ob sie den Text in dieser Form veröffentlichen lassen kann und darf.
Und dann folgte das vollkommen Absurde: Die Rezensentin bat mich, den Text durchzulesen und ihr eine Rückmeldung zu geben, ob ich mit Inhalt und Form des Textes einverstanden wäre. Ich sollte ihr also eine Art Absolution erteilen. Hier ein Auszug dieser Stückbesprechung:
Es ist schlichtweg schrecklich, was hier unter dem Titel ‚Theateraufführung‘ gezeigt wird, das ist nicht einmal mehr schwer auszuhaltende Outrage, das ist nur einfach grottenschlechtes Geschehen auf der Bühne. Der Regisseur lässt die behinderten Akteure, so scheint’s, das tun und sein, was sie wollen und sind. Das ist löblich – zu Therapie- und Beschäftigungszwecken, das mag auch die Verwandtschaft und Freunde erfreuen. Wohlwollende mögen sich vielleicht noch stellenweise über die – zumeist eher unfreiwilligen – Slapstikszenen amüsieren. Da aber ist die Grenze von Lachen zu Auslachen schon eine sehr dünne.
In meiner Rückmeldung äußerte ich den Wunsch einer eher sachlicheren und weniger emotionalen Auseinandersetzung mit dem Stück. Ich bestärkte sie aber trotzdem darin, den negativen Eindruck, den sie offenbar von dieser Aufführung erhalten habe, auch zu formulieren. Denn meiner Meinung nach ist ein Aspekt der angestrebten Professionalisierung von Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigung auch, den Umgang mit negativen, oft respektlosen und verletzenden Kritiken zu erlernen und zu üben.
Die Journalistin versprach, den Text noch einmal zu überprüfen und zur Veröffentlichung freizugeben. Doch der Text erschien – auch zur Überraschung der Journalistin – nicht. Der Chefredakteur entschied, es „sei nicht zu verantworten, dass so etwas erscheint, weil es verletzend ist und die feine Klinge fehlt.“ Über dieselbe Aufführung urteilte übrigens eine andere Zeitung: „Eine spritzige Heimatposse – ein Stück Experimentaltheater auf hohem schauspielerischem Niveau. Gratulation!“
So unterschiedlich kann eine Rezension ausfallen!
Auch am Beispiel der Aufführung des Atelier Blaumeier beim ersten Festival „sicht:wechsel“ lässt sich die Unsicherheit einer Journalistin anschaulich nachzeichnen. Nach der Aufführung der Produktion „Suite Elisabeth“ bat mich die Journalistin um Hilfe. Auch sie bemängelte das fehlende schauspielerische Handwerk der Darstellerinnen und Darsteller. Sie seien zum Teil auch nicht zu verstehen, die Produktion sei eine Zumutung für alle Beteiligten. Auch sie habe ich dazu ermuntert, ihre Bedenken und ihre Kritik an der Aufführung doch sachlich und mit Respekt zu formulieren. Entstanden ist eine überaus positive Kritik dieser von ihr so wenig geschätzten Aufführung. Keiner ihrer Kritikpunkte fand sich in ihrer schriftlichen Rezension auch nur ansatzweise wieder. Im Gegenteil, sie betonte immer wieder die Wichtigkeit kreativer Äußerungen von Menschen mit Behinderung für deren Persönlichkeitsentwicklung. Mit dem Stück und der Aufführung hat sie sich in keiner Weise auseinandergesetzt. Ein klassischer Fall von „gut gemeint – aber schlecht gemacht“.
Diese Form der positiven Diskriminierung ist leider in der Medienberichterstattung häufig zu finden. Sie ist genau das Gegenteil von dem, was sich die Kunstschaffenden wünschen. So wurden beim letzten Festival 2016 zwar erfreulicherweise über alle großen Abendproduktionen und Ausstellungen von mehreren Zeitungen und TV-Stationen berichtet. Ausnahmslos alle Berichte schwärmten aber in erster Linie von den „besonderen“ Fähigkeiten der Künstlerinnen und Künstler mit Beeinträchtigung, von der großen Heiterkeit und Fröhlichkeit, die diese Produktionen auszeichnen und davon, dass Menschen mit Behinderung doch auch ein Recht hätten, sich künstlerisch zu äußern.
Auch wenn eine konstruktive und kritische Auseinandersetzung mit einem künstlerischen Werk anders aussehen sollte, ist doch das grundsätzlich aufkeimende Interesse der Journalistinnen und Journalisten an inklusiver Kunst als erster und erfreulicher Schritt hin zu mehr Akzeptanz und Beschäftigung der Medien mit dieser Kunst zu werten.
Denn das Beispiel des Theaters Kraut und Ruam, einer
oberösterreichischen Kulturinstitution in der Nähe von Linz, zeigt, welche
fatalen Auswirkungen eine gänzlich fehlende Berichterstattung haben kann: Die
sehr ambitionierte Theatergruppe hatte erstmals ihre neue Theaterproduktion im
Juni 2017 an einem kleinen, 120 Plätze fassenden Linzer Theater herausgebracht
und dort auch insgesamt sechs Vorstellungen angesetzt. Trotz intensiver Bemühungen
der Marketingabteilung des Instituts gab es für die Produktion weder Vor- noch
Nachberichte in den drei großen Zeitungen des Landes. Durch die ausbleibende
Werbung blieben die Besucherinnen und Besucher aus und es mussten drei der
sechs Vorstellungen abgesagt werden. Entsprechend gering waren somit die
Einnahmen, sodass die Gruppe am Ende mit einem finanziellen Defizit aus der
Produktion aussteigen musste. Die erhoffte Öffentlichkeit wurde nicht erreicht
und bot für die Geschäftsführung, die von der Politik zu starken Kürzungen
gezwungen wird, die Gelegenheit, die Theaterarbeit am Institut grundsätzlich
infrage zu stellen und in der Folge auch zu beenden. Das Theater Kraut und Ruam
ist damit Geschichte und wird nur noch zu bestimmten Anlässen wieder ins Leben
gerufen – vorausgesetzt, es finden sich Sponsoren, welche die Produktion
finanzieren. Eine Entwicklung, die in
Zeiten der massiven Einsparungen nicht nur im Sozial-, sondern auch im Kulturbereich
möglicherweise auch noch andere inklusive Ensembles und Künstlerinnen und Künstler
mit Beeinträchtigung treffen könnte. Damit dies nicht geschieht, bedarf es
unser aller Engagement, dass inklusive Kunst qualitativ verbessert,
professionalisiert und viel mehr in der Gesellschaft verankert wird. Erst dann
wird sie ihren gebührenden Platz im Kulturleben unserer Gesellschaft einnehmen
können.
[1] Was die Kriterien und Probleme bei der Auswahl inklusiver Ensembles für das inklusive Kultur-Festival „sicht:wechsel“ betreffen, darüber kann die Künstlerische Leiterin des Festivals, Prof. Dr. Elisabeth Braun besser Auskunft geben. Da wir das Programm aber zum großen Teil gemeinsam gestalten, möchte ich im Folgenden meine Überlegungen dazu darstellen.
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