Wie müssen Instrumente staatlicher und nicht staatlicher Projektförderung aussehen, um Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende mit Behinderung und die Kunst- und Kulturarbeit von mixed-abled Teams vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Ausgangssituationen und Bedarfe erfolgreich zu fördern?
Fachkräfte aus der Kulturverwaltung, der künstlerischen Arbeit mit inklusiven Teams, aus Künstleragenturen, der operativen Stiftungsarbeit und Inklusionsberatung haben dazu auf der 4. Netzwerktagung Empfehlungen für Förderer und Auswahlgremien zur Neuakzentuierung und Erweiterung von Fördermaßnahmen in Kunst und Kultur erarbeitet, die in diesem Beitrag näher vorgestellt werden.
Ausgangssituation und Bedarfe
Aufgrund ungleicher Bildungschancen auf dem Ausbildungsmarkt haben nur wenige Kulturschaffende mit Behinderung eine anerkannte künstlerische Ausbildung. Hinzu kommen erschwerte Zugangsmöglichkeiten für Kulturschaffende mit Behinderung zum ersten Arbeitsmarkt des Kulturbereichs. Die mangelnde Präsenz der Arbeit von Kulturschaffenden mit Behinderung führt dazu, dass sie in den Rezeptionsgewohnheiten der Kunst- und Kulturszene so gut wie nicht vorkommt und somit auch nicht Gegenstand eines kritischen Qualitätsdiskurses ist.
Das führt im Rahmen von Antragstellungen im Bereich von Kunst- und Kulturförderung aufseiten der Kulturschaffenden zur Problematik des Kompetenznachweises und zum Ausschluss von Fördermaßnahmen, die eine anerkannte künstlerische Ausbildung voraussetzen. Für Mitglieder von Jurys und Gremien ergeben sich Schwierigkeiten in der Einschätzung des künstlerisch-kulturellen Potenzials der Projektanträge.
In der Arbeit von Kulturschaffenden mit Behinderung können Kosten entstehen, die in der Kulturarbeit von Kulturschaffenden ohne Behinderung nicht anfallen. Diese Kosten betreffen zum Beispiel die Sicherung der Kommunikation von Kulturschaffenden mit Höreinschränkungen durch Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Transportkosten für Kulturschaffende mit Mobilitätseinschränkungen, Kosten für die Organisation von Fahrtdiensten, Assistenzen, geeignete barrierefreie Räumlichkeiten, längere Probenzeiten und die Kommunikation mit Wohneinrichtungen. Die Arbeit mit mixed-abled Teams kann ein multiprofessionelles Team erfordern. Einen Mehraufwand für die Organisation bedeutet auch die Vermarktung von mixed-abled Produktionen auf dem ersten Arbeitsmarkt des Kulturbereichs, da hier die Akzeptanz für unvertraute Produktionen geschaffen werden muss. Diese Bedarfe und die damit verbundenen Kosten vergrößern das Kostenvolumen von Projektanträgen, was zu einem Nachteil im Projektvergleich führen kann.
Empfehlungen
Dem Unvertrauten und Unausgereiften eine Chance geben
Hier braucht es vonseiten der Auswahlgremien den Mut, in der Auswahl von Projektvorhaben etwas zu wagen und die Entscheidung, dezidiert Projekten von und mit Kulturschaffenden mit Behinderung eine Chance zu geben.
Den Blick für Kunst- und Kulturproduktion von und mit Kulturschaffenden mit Behinderung schärfen
Da das Kunst- und Kulturschaffen von Menschen mit Behinderung so wenig selbstverständliche Sichtbarkeit hat, braucht es aufseiten der Förderer und Auswahlgremien eine gezielte Beschäftigung mit künstlerisch-kulturellen Produktionen von Kulturschaffenden mit Behinderung.
Beiräte und Jurys durch Kulturschaffende mit Behinderung oder Kulturschaffende mit einem engen Kontakt zu Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung ergänzen
ZurErweiterung der Entscheidungskompetenzen von Auswahlgremien ist eine Ergänzung durch Kulturschaffende mit Behinderung oder Kulturschaffende mit engem Kontakt zu Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung sinnvoll.
Barrieren im Antragsprocedere senken
Das Antragsprocedere stellt zum Beispiel für Menschen mit Sinneseinschränkungen (z. B. Menschen mit Seheinschränkungen und Gehörlose) besondere Hürden dar, die durch entsprechende Maßnahmen (z. B. barrierefreie Antragsformulare, geschulte Ansprechpartnerinnen und -partner) gesenkt werden können.
Künstlerisch-kulturelles Vorhaben und spezifische Unterstützungsbedarfe in der Finanzierung trennen
Damit zusätzliche Bedarfe und die damit verbundenen Kosten für Kulturschaffende mit Behinderung nicht zum Nachteil in der Beantragung von Projektgeldern werden, wird eine Trennung der Finanzierung des künstlerisch-kulturellen Projektvorhabens und der Finanzierung der Unterstützungsbedarfe vorgeschlagen. Die Beurteilung des Projektantrags erfolgt ausschließlich auf der Grundlage des künstlerisch-kulturellen Vorhabens. Zur Finanzierung von Unterstützungsbedarfen müssen Lösungen erarbeitet werden, die von der Kooperation mit Leistungsträgern aus dem Sozialwesen bis hin zur Reservierung von Geldern in Fördertöpfen reichen können, die allein zur Finanzierung von Unterstützungsbedarfen ausgegeben werden dürfen.
Aufbauarbeit fördern
Damit Projekte von und mit Kulturschaffenden mit Behinderung kein Fall für die Soziokultur bleiben, braucht es in der Kunst- und Kulturförderung verortete Unterstützungsmöglichkeiten für die Aufbauarbeit. Zu dieser Aufbauarbeit gehören die Stärkung von künstlerisch-kulturell talentierten Menschen mit Behinderung und die Möglichkeit, sich auszuprobieren und unter professionellen Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln; die Eröffnung von (alternativen) Ausbildungswegen; die Förderung von Brückenbauern, die zwischen Menschen mit Behinderung und dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln, ebenso wie die Förderung von Kunst- und Kultureinrichtungen, die mit Menschen mit Behinderung Strukturmaßnahmen an ihren Institutionen erarbeiten. Die genannten Förderinhalte können in bestehende Förderkonzeptionen der Kunst- und Kulturförderung integriert werden oder Inhalt eigener Fördermaßnahmen sein. Bei der Einrichtung von gesonderten Fördertöpfen ist es wichtig, diese sinnvoll mit bestehenden Fördermaßnahmen zu verzahnen, damit die Förderung aus gesonderten Fördertöpfen nicht zum Ausschluss von regulären Fördermaßnahmen führt.