Kunst und Kultur nicht über, sondern mit Menschen machen – auf diese kurze Formel könnte man den Kern soziokultureller Arbeit und soziokultureller Projekte in der Förderung des Fonds Soziokultur bringen.
Der Fonds Soziokultur ist einer von sechs Bundeskulturfonds und wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Er verbindet in seinen drei Programmsäulen Kunst und Gesellschaft nicht nur thematisch, sondern auch hinsichtlich der Akteurinnen und Akteure und in allen künstlerischen Sparten. Ein soziokulturelles Projekt greift alltägliche Themen mit ästhetischen Mitteln auf und lässt Bürgerinnen und Bürger jeden Alters selbst zu kulturellen Produzentinnen und Produzenten werden. Bestenfalls arbeiten professionelle Kunstschaffende und Medienmacherinnen und -macher mit künstlerischen Laien zusammen; gemeinsam entwickeln sie Theaterszenen im Stadtteil oder im Netz, Ausstellungen in privaten Hausfluren oder Soundprojekte aus Subkulturen auf der Operntreppe. Wie in der Kunst selbst ist ein Perspektivwechsel möglich, der die Wirklichkeit hinterfragt und neue Realitäten erfindet. Das ist das große utopische Potenzial der Kulturarbeit mit Menschen.
Soziokulturelle Projekte können Plattformen für Ungehörtes, Ungesehenes oder Unausgesprochenes sein. Den sensiblen Spürsinn, was hier zeitaktuell und gesellschaftlich wichtig ist und mit welchen Ausdruckmitteln es neu dargestellt werden kann, haben die Antragstellenden und Projektträger beim Fonds Soziokultur. Jährlich zwei Millionen Euro erhält er von der BKM zur Umsetzung der Förderung. Die größte Programmsäule ist die „Allgemeine Projektförderung“. Sie ist für alle Themen und die meisten Antragstellenden offen, von Initiativen bis zu frei getragenen Einrichtungen.
Könnte man hier die Erzählung beenden? Könnte man hier behaupten, dass über Ausschlüsse, Zugänglichkeit und Diskriminierung aufgrund des soziokulturellen Kerns und der Offenheit des Programms nicht gesprochen werden muss? Denn es bestimmen ja die Akteurinnen und Akteure in den geförderten Projekten selbst, wer und was sichtbar wird, wer Entscheidungen trifft und wer mitmacht. Einerseits.
Andererseits: Wer entscheidet über die Anträge und damit über die Projekte, die tatsächlich stattfinden? Wer setzt die Förderschwerpunkte und Oberthemen? Wie wird für die Antragsmöglichkeit geworben und wie verläuft das Antragsverfahren? Was kann gefördert werden und was nicht? Wie gelangen Interessierte an Informationen?
Vielstimmige Förderentscheidung
Welche Erfahrungen nun hat der Fonds als Organisation in seiner Arbeit mit dem Aspekt Behinderung, Barrierefreiheit und Inklusion oder Diskriminierungsfreiheit?
Nicht nur in den Projekten, sondern auch innerhalb der Strukturen des Fonds Soziokultur geht es um Vielstimmigkeit und Sensibilität in Entscheidungen. Die Instrumente hierfür sind vorhanden: Der Fonds ist ein Verein, seine Mitglieder sind Bundesverbände mit eigenen breiten Mitgliederstrukturen, die die Bereiche Soziokultur, Kulturelle Bildung, Kulturpolitik und Medienkommunikation vertreten. Sie entsenden einzelne Expertinnen und Experten in das Kuratorium, das mit zwölf Vertreterinnen und Vertretern aus dem Feld der Praxis aus ganz Deutschland über eingereichte Anträge entscheidet. Die wechselnde Besetzung dieses Gremiums ist ein Hebel, viele unterschiedliche Perspektiven in Entscheidungsfunktionen zu bringen. Welche Perspektiven wären noch wichtig? Wie lassen sie sich organisch und organisatorisch einbinden? Dies sind wiederkehrende Fragen.
Aufmerksamkeit für Themen
Insbesondere in den Sonderausschreibungen des BKM-Programms „Neustart Kultur“ hat der Fonds Soziokultur besondere Themen gesetzt, unter anderem eine Ausschreibung zu „Diversität, Vielfalt, Inklusion“. Es ist unklar, ob dies trotz oder wegen des durchaus plakativen Titels die zweitgrößte Antragsrunde in den insgesamt fünf Ausschreibungen war mit einem tatsächlich diversen Spektrum an Antragstellenden. Die Akteurinnen und Akteure haben zu 50 Prozent erstmals beim Fonds Soziokultur einen Antrag gestellt, und es ist aus der Perspektive des Förderers sehr positiv, dass sie auf den Fonds möglicherweise durch die Themensetzung aufmerksam geworden sind. Denn Programmmacherinnen und -macher, die Kuratorinnen und Kuratoren sowie die Gremien lernen mit, und es bilden sich je Themenausschreibung andere Wirklichkeiten aus Kunst und Kultur ab, die die Diskussionen in Entscheidungsgremien verändern. Themenausschreibungen sind beim Fonds Soziokultur nicht allein der Vorschlag zur Behandlung besonders drängender soziokultureller Fragen, sondern auch die Suche nach neuen Ideen, ungewöhnlichen Verantwortlichen und noch nicht sichtbaren Aspekten der Soziokultur.
Dilemmata
Wer ist zuständig? In einer idealen Welt müsste sich ein Projekt nicht mehr rechtfertigen mit der Integration einer besonders hervorgehobenen „Zielgruppe“, die aber gerade politisch, soziologisch oder künstlerisch im Fokus steht. Selbstverständlich ist keine Gruppe homogen und das Gruppenmerkmal nicht das individuell einzige oder gar dominierende. Dadurch entstehen immer wieder Dilemmata für die Förderentscheidung. Der Fonds Soziokultur stellt Koproduktion von künstlerischen Laien als wichtiges Kriterium auf. Was geschieht, wenn aus Laien Profis werden, sie eine eigene künstlerische Sprache entwickeln und aus dem Bild der „förderwürdigen(!) Zielgruppe“ entschieden heraustreten? Hier könnte man von nachhaltig wirksamer Förderung sprechen, aber die Wirklichkeit der nach Ressorts getrennten Finanzbudgets ist oftmals noch anders. Ist es ein Kunst- oder ein soziokulturelles Projekt? Sind es Kunstprofis, also wäre eigentlich ein Kunstförderer zuständig? Hat es wiederum dort eine Chance? Welche Kriterien wiegen schwerer? Wie entscheiden sich Antragstellende auf der Suche nach Förderern? Gilt das Label „Soziokultur“ als Qualitätseinbuße oder -auszeichnung? Hier gilt es sicherlich, veraltete Vorstellungen der Trennung von Kunst und Nicht-Kunst oder Kultur und Soziokultur zu revidieren – bezogen auf die Förderlogiken, aber auch bezogen auf eine künstlerische Praxis.
Sichtbarkeit
In der Öffentlichkeitsarbeit des Fonds, vom Magazin bis zu den Social-Media-Kanälen werden Projekte, Ansätze, Besonderheiten, Akteurinnen und Akteure sichtbar gemacht. Es ist bei der Fülle der wichtigen Themen, Formate und Methoden sowie der Vielfalt der leidenschaftlichen Projektverantwortlichen eine mitunter schwierige Balance, dem gesamten Spektrum gerecht zu werden. Ein Titelbild, ein Untertitel oder die Auswahl vorgestellter Projekte kann bei der Bandbreite nicht alle Facetten abbilden. Das bewirkt einerseits, dass bestimmte mögliche Antragstellende sich nicht im Förderportfolio des Fonds Soziokultur erkennen und nicht bei uns beantragen, obwohl sie gemäß unserer eigenen Suche nach Innovation sehr gut passen würden. Dies führt auf der anderen Seite zu einem ausschnitthaften Bild der soziokulturellen Szene, das nie vollständig sein kann. Der Fonds Soziokultur kann jedoch mittels seiner Öffentlichkeitsarbeit sowohl zur Nachahmung anregen als auch kulturpolitische Signale für Entwicklungen setzen.
Fördern lernen
Der Fonds Soziokultur hat auf der Basis seiner Mitgliederstruktur, mit Formaten wie „Seminar für Förderempfänger“ oder „Re:Vision“ (Online-Begleitprogramm zu „Neustart Kultur“) und auch mit kontinuierlicher Projekt- und Antragsberatung engen Kontakt zum Personal der Projekte und der Realität vor Ort. Mit seinem „Innovationspreis Soziokultur“ verleiht er alle zwei Jahre einen Preis an besonders herausragende gesellschaftlich relevante Projektakteurinnen und -akteure und lädt zur Diskussion über Praxis und Politik ein. Dank dieser beweglichen Strukturen und Aktivitäten des Fonds und vor allem auch der wechselnden Besetzung des Kuratoriums ist der Fonds strukturell lernfähig. Dies ist eine stetige Entwicklung, abgeschlossen wird sie nie sein und bezüglich konkreter Barrierefreiheit oder des Aspekts der Behinderung in unseren Förderprogrammen bedarf es ganz sicher weiterer Entwicklungen, ebenso wie für Nachhaltigkeit, Umgang mit Ressourcen insgesamt und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
To be continued …
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