Die Diskussion um Inklusion im Kulturbereich dreht sich in erster Linie um die Frage, wie Angebote der Kulturellen Bildung inklusiver gestaltet werden können. Also konkret: Welche kulturellen Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung bereitgestellt werden können und welche Qualifikationen diejenigen benötigen, die solche Angebote machen.
Weiter wird in der Diskussion um inklusive Bildung allgemein verstärkt darüber diskutiert, wie Angebote aussehen müssen, die sich an Menschen mit und ohne Behinderung richten. Ein weiterer Diskussionsstrang befasst sich mit Fragen der Zugänglichkeit von Kultureinrichtungen oder auch von Kulturangeboten im Internet. Barrierefreiheit meint hier: Zugangsmöglichkeiten auch für Menschen mit Gehbehinderung, Erläuterungen auch in Brailleschrift oder vorgelesen sowie Erläuterungen in sogenannter Leichter Sprache.
Im Feld der Kulturellen Bildung werden diese und weitere Fragestellungen mit großem Engagement debattiert, in Modellvorhaben erprobt und in den Betrieb von Einrichtungen der Kulturellen Bildung sowie in Kultureinrichtungen implementiert.
Eine untergeordnete Rolle spielt die Frage nach der professionellen künstlerischen Tätigkeit von Menschen mit Behinderung. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen im Berufsleben erworbenen Einschränkungen und Einschränkungen, die bereits im Kindesalter bestehen.
Arbeitssicherheit
Im Berufsleben erworbene Einschränkungen oder gar Berufsunfähigkeit infolge eines Unfalls sind ein wenig debattiertes Thema, obwohl gerade im Bereich der darstellenden Künste bis hin zur Artistik sowie in der Musik diese Fragen eine wichtige Rolle spielen. Sehr intensiv befassen sich hiermit die in Orchestern Verantwortlichen sowie die zuständigen Gewerkschaften. Hier geht es um die Prävention von Berufskrankheiten, um die Rehabilitation von Erkrankten sowie allgemein um den Arbeitsschutz. Auch in staatlichen Theatern und bei größeren Veranstaltern spielen diese Fragen eine wichtige Rolle. Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Beruf nach im Berufsleben erworbenen Einschränkungen werden von der Berufsgenossenschaft finanziert und in den betreffenden Einrichtungen wird eine Wiedereingliederung möglichst realisiert.
Auch in der sogenannten Freien Szene werden die entsprechenden Beiträge zur Berufsgenossenschaft geleistet und die Betroffenen können entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen der Berufsgenossenschaften in Anspruch nehmen. Bei der Rückkehr in den Beruf bestehen aber Hürden, weil gerade in der Freien Szene die Finanzierung ohnehin oftmals prekär ist und letztlich auf die Gesundheit und Unversehrtheit der Akteure gesetzt wird.
Darüber hinaus sind Fragen der Arbeitssicherheit und der möglichen Arbeitsunfälle nicht gerade ein Thema, das besonders rege Debatten entfachen würde. Die meisten Menschen verdrängen mögliche Unfälle und in manchen, wie der Artistik, ist dies vielleicht auch notwendig, sonst würde sich vielleicht kaum einer an das Trapez, Hochseil, Vertikalseil oder anderes heranwagen.
Auch beim Deutschen Kulturrat und seinem Fachausschuss Arbeit und Soziales spielten Fragen der Arbeitssicherheit, der Rehabilitation und vor allem der Rückkehr in den Beruf, speziell wenn Beeinträchtigungen zurückbleiben, eine untergeordnete Rolle. Das Netzwerk Zirkus, in dem sich Zirkusunternehmen und Zirkuskünstlerinnen und -künstler zusammengeschlossen haben, hat im März 2016 eine grundlegende Tagung zu dem Thema veranstaltet, deren Ergebnis u. a. war, dass sich mit diesem Thema intensiver befasst werden muss und vor allem mehr Daten zu diesem speziellen Feld gesammelt werden müssten.
Künstlerinnen und Künstler mit körperlichen Einschränkungen
Ein Thema, das weniger erforscht ist und mit dem sich kaum befasst wird, ist die künstlerische Ausbildung und Tätigkeit von Menschen mit Behinderung. Zwar kennen diejenigen, die sich für sogenannte Ernste Musik interessieren den Sänger Thomas Quasthoff, dem aufgrund seiner Behinderung ein Studium als Sänger an einer Musikhochschule zunächst versagt war, ansonsten gibt es wenige Beispiele von Künstlerinnen und Künstlern, die eine Behinderung von Kindheit an haben, und dennoch eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen haben.
Der Beruf als Künstlerin oder Künstler wird zumeist mit körperlicher Unversehrtheit verbunden. Nicht zuletzt, weil die Mehrzahl der künstlerischen Berufe auch mit erheblichem körperlichen Einsatz verbunden ist.
Im Sport haben die Paralympics inzwischen Anerkennung erworben. Sportlerinnen und Sportler mit körperlichen Einschränkungen können eine sportliche Karriere verfolgen. Der Deutsche Olympische Sportbund ist ein wichtiger Akteur bei der Förderung und Unterstützung des paralympischen Sports.
Im Kulturbereich ist eine solche Breitenwirkung und öffentlichkeitswirksame Förderung künstlerischer Arbeit bis hin zur professionellen Karriere bislang in dem Maße wie im Sport nicht verbreitet. Hier könnte von den Erfahrungen des Deutschen Olympischen Sportbunds in der paralympischen Arbeit gelernt werden.
Dabei sollte auch der Austausch mit Ausbildungseinrichtungen gesucht und hier die Erfahrungen aus dem paralympischen Sport mit Assistenzen eingebracht werden.
Künstlerinnen und Künstler mit nicht-körperlicher Einschränkung
Die bekannteste Sammlung von Werken von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung ist die „Sammlung Prinzhorn“. Sie geht auf die Initiative des Kunsthistorikers und Psychiaters Hans Prinzhorn zurück, der sich zwischen 1919 und 1921 an Psychiatrien wandte und um die Überlassung von künstlerischen Patientenwerken bat. Im Jahr 1922 wurde von Hans Prinzhorn das Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ publiziert und fand eine sehr interessierte Aufnahme. Auch Künstlerinnen und Künstler ließen sich von abgebildeten Werken inspirieren. Im Jahr 1963 wurde die Sammlung Prinzhorn von Harald Szeemann wiederentdeckt und in der Kunsthalle Bern ausgestellt. Diese Ausstellung erfuhr eine große nationale und internationale Resonanz. Die „Sammlung Prinzhorn“ ist heute auf dem Gelände der Universitätsklinik Heidelberg in einem eigenen Museum untergebracht. Sie wird laufend ergänzt durch Werke von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung.
Auch wenn die „Sammlung Prinzhorn“ eine große Bekanntheit und Anerkennung genießt, spielt ansonsten in der Kunstszene Kunst von Menschen mit nicht-körperlicher Einschränkung eine untergeordnete Rolle oder wird vor allem unter therapeutischen oder sozialen Aspekten betrachtet. Doch es darf nicht unterschlagen werden, dass eine nicht unbedeutende Gruppe von Kuratoren, Kritikerinnen, Sammlern, Museumsleuten und besonders von Künstlerinnen und Künstlern den besonderen Reiz von „Outsider-Art“ erkannt haben und diesen Werken einen kleinen, nachhaltigen Markt ermöglichen.
Dass Menschen mit nicht-körperlicher Einschränkung, gleich welcher Art, eine künstlerische Ausbildung absolvieren und anschließend als Künstlerin oder Künstler tätig sind, spielt in den Diskussionen zur Künstlerausbildung oder auch zum beruflichen Alltag von Künstlerinnen und Künstlern aber trotzdem keine oder kaum eine Rolle.
Viele offene Fragen
Angesichts vieler offener Fragen zur künstlerischen Ausbildung von Menschen mit Behinderung und ihrer Berufstätigkeit ist es sehr positiv, dass das Netzwerk Kultur und Inklusion sich sowohl der Forschung als auch dem Erfahrungsaustauch zu diesem Thema annimmt. Daraus werden sich hoffentlich auch spannende Debatten, auch für den Deutschen Kulturrat, ergeben.
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