Der vorliegende Beitrag setzt sich aus der Perspektive von Wissenschaft und Forschungsmethoden/-methodologien mit dem Thema „Behinderung in Film und Fernsehen“ auseinander. Im Sinne der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung („Nichts über uns ohne uns“) stellt sich für Forschungsprojekte, die inklusionssensibel zum Phänomen Behinderung forschen wollen, die Frage nach einer sinnvollen Einbindung von Menschen mit Behinderung in den Forschungsprozess.
Der Beitrag diskutiert die Gelegenheiten und Herausforderungen, die durch den Ansatz der partizipativen Forschung nach Jarg Bergold und Stefan Thomas für das Thema „Behinderung in Film und Fernsehen“ gegeben sind. Zunächst soll der Begriff der partizipativen Forschung erläutert werden und mit Blick auf ein enges Inklusionsverständnis auf das Phänomen Behinderung konkretisiert werden. In einem nächsten Schritt geht es um eine inhaltliche Konkretisierung in den Kontext Film und Fernsehen und die entsprechende mediale Darstellung von Behinderung, bevor abschließend das Projektseminar „Partizipative Forschung: Behinderung in Film und Fernsehen“ an der Universität Siegen vorgestellt wird.
Partizipative Forschung
Partizipative Forschung ist der Anspruch, „einen Erkenntnisprozess zu initiieren und zu gestalten, an dem im Prinzip alle Personen und Gruppen als aktiv Entscheidende beteiligt werden, die von dem jeweiligen Thema und der Fragestellung betroffen sind“ (Bergold 2013: 2). So werden die in der traditionellen Forschung häufig bestehenden hierarchischen Verhältnisse der an der Forschung Beteiligten aufgebrochen und durch gleichberechtigte, partnerschaftliche Zusammenarbeit ersetzt. Geht es um Forschung zum Themenkomplex Behinderung, erfährt dieser beschriebene Anspruch der Beteiligung des interessierenden Personenkreises eine weitere Dimension an Herausforderung: die Beteiligung von Menschen mit Behinderung in den Forschungsprozess. Abhängig von Art und Schwere der Behinderung kann sich dies sehr unterschiedlich auf die Forschungsprozesse auswirken. So ist die Herausforderung sicher gut zu meistern, wenn es sich beispielsweise darum handelt, gemeinsam mit Menschen zu forschen, die gehbehindert sind und ein Hochschulstudium absolviert haben. Geht es jedoch darum, gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten zu forschen, die über wenig Erfahrung im Bildungsbereich und über keinerlei Erfahrung im Wissenschaftsbereich verfügen, ist die Herausforderung, einen Forschungsprozess sinnvoll partizipativ anzulegen, deutlich komplexer. Dementsprechend zögerlich verläuft auch die Entwicklung eines partizipativen oder auch inklusiven Forschungsstils im deutschsprachigen Raum bis in die 2010er Jahre hinein (Biewer/Moser 2016: 33; Goeke 2016: 37).
Durch die Änderung der Förderrichtlinien bedeutender Einrichtungen der Behindertenhilfe in Großbritannien seit Beginn der 1990er Jahre und zeitgleich mit den Disability Studies entwickelte sich die partizipative Forschung, die Menschen mit Lernschwierigkeiten in den Forschungsprozess involviert und „den Beforschten zu einer Stimme verhelfen will“ (Graf 2015: 32). Eines der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist unter anderem „eine stärkere Anerkennung der Fähigkeiten und des Beitrags von Menschen mit Behinderung in der und für die Gesellschaft“ (Weber/Rebmann 2017: 16). Das Konzept der partizipativen Forschung möchte diesem Anspruch Rechnung tragen. Auch in Deutschland vollzog sich ein Durchbruch zu neuen Perspektiven mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Behinderte in den Medien – später umbenannt in Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien (vgl. Radtke 2014: 42) – und der Aktionsforschung in den 1970er Jahren.
Hier wird expliziert, dass partizipative Forschung „nicht Forschung über Menschen und auch nicht für Menschen, sondern Forschung mit Menschen“ (Bergold/Thomas 2010: 33) ist. Dies ist der Anspruch der erkenntnistheoretischen Position von partizipativer Forschung und gleichsam ihr Ziel: Die Perspektiven aller am Forschungsgegenstand interessierten Personengruppen sollen einbezogen werden, sodass ein offener Prozess „der zielorientierten Interaktion und der selbstkritischen Reflexion“ (ebd.: 337) in einem gemeinsamen kommunikativen Raum initiiert wird. Als wichtige Einflussfaktoren zur Entstehung und Weiterentwicklung eines partizipativen oder im engeren Sinne inklusiven Forschungsstils sind zunächst das Normalisierungsprinzip, die sukzessive Etablierung eines weit rezipierten sozialen Behinderungsmodells sowie die Self-Advocaccy-Bewegung anzuführen (vgl. Goeke 2016:47ff.). Die partizipative Gestaltung kann dabei verschiedene Dimensionen einnehmen, wie das Stufenmodell der Partizipation von Michael Wright, Martina Block und Hella von Unger (2010: 42) veranschaulicht.
„Partizipation erfolgt nicht nach dem Alles-
oder Nichts-Prinzip“ (Bergold/
Thomas 2010: 337), sondern nach verschiedenen Stufen der Partizipation. Dabei
ist zu berücksichtigen, dass auch scheinpartizipative Ansätze (vgl. ebd.: 337)
existieren. Tatsächlich partizipative Forschung beginnt bei der sechsten Stufe
Modells, also mit der Mitbestimmung bei Entscheidungen im Forschungsprozess –
wie beispielsweise bei der Auswahl und Formulierung der Forschungsfrage (vgl.
Graf 2015: 34). Hier wird deutlich, dass partizipative Entscheidungen bereits
im Vorfeld der eigentlichen Forschungsarbeit geleistet werden müssen. Diese
Entscheidungen betreffen Fragen wie: Welches Thema/Problem soll untersucht
werden und wer bestimmt die Auswahl? Wer ist davon betroffen und soll daher
beteiligt werden? Was bedeutet aktive Beteiligung? Wem gehört die Forschung?
Wer kann an welchen Punkten des Prozesses welche Entscheidungen treffen? usw.
(Bergold 2013: 2). Partizipative Forschung basiert also auf dem Prinzip des „multi-voicing“,
das bedeutet, „dass alle Beteiligten ihre Meinung frei äußern, gleichberechtigt
teilnehmen und mitentscheiden können“ (Bergold/Thomas 2010: 337). Ebenso ist es
bedeutsam, „dass Partizipation in der jeweiligen Forschungssituation
angemessen, erkenntnisträchtig und moralisch gerechtfertigt ist“ (ebd.: 339).
Bei partizipativer Forschung handelt es sich um einen Forschungsstil bzw. um eine Forschungsstrategie, die zunächst unabhängig von Fachdisziplinen und Methoden eingesetzt werden kann. Erste Ansätze dieser Forschungsstrategie haben sich im Rahmen von Untersuchungen mit unterprivilegierten oder marginalisierten Personenkreisen entwickelt. So werden auch „diejenigen Menschen, die bisher Forschungsobjekte gewesen sind, selbst als ForscherInnen“ (Graf 2015: 33) einbezogen. In partizipativen Forschungssettings wird durch die Eröffnung eines kommunikativen öffentlichen Raums ein Rahmen gebildet, innerhalb dessen die relevanten Forschungsinhalte aus möglichst vielen Perspektiven betrachtet werden können. Einen Überblick über verschiedene partizipatorische Ansätze – Participatory Action Research, Emancipatory Research, Community Based Participatory Research und Inclusive Research – bietet Stephanie Goeke (2016: 41ff.).
Um partizipative Forschung gelingend zu gestalten, gilt es, verschiedene Voraussetzungen und Grundlagen zu erfüllen: Grundlegend sind zum einen die institutionellen Rahmenbedingungen bzw. Kontextbedingungen – wie rechtliche Regelungen und Formen des sozialen Umgangs. Auch die Forschungsmethoden selbst transportieren Strukturen, die Partizipation fördern, aber eben auch hemmen können (vgl. Bergold/Thomas 2010: 337). Zum anderen ist die Ressourcenausstattung bezüglich persönlicher, räumlicher, zeitlicher und finanzieller Aspekte ausschlaggebend für den Forschungsprozess (vgl. ebd.). Von entscheidender Bedeutung für partizipative (dies gilt natürlich ebenso für nicht explizit partizipative) Forschung ist zudem ihre Qualität. Hier muss die partizipative Forschung allerdings zwei unterschiedliche Qualitäten von Gütekriterien berücksichtigen. So muss sie zum einen den Gütekriterien (empirischer) Forschung grundsätzlich genügen, um ihre wissenschaftliche Dignität zu wahren – dies ist für den partizipativen Forschungskontext von besonderer Bedeutung. Zum anderen muss sie zusätzlich auch speziellen Gütekennzeichen genügen, welche sich auf den Prozess der Partizipation beziehen.
Es ist zu sichern,
- dass alle Betroffenen im Prinzip Zugang zu dem Forschungsprozess und den dort anstehenden Entscheidungen haben;
- dass die Stimme jedes und jeder Beteiligten gehört wird und in die Entscheidung eingeht;
- dass das Ziel der Forschung die Erweiterung des Wissens und der gemeinsamen Handlungsfähigkeit aller Beteiligten ist;
- dass die Ergebnisse verständlich und in ihren Konsequenzen durchschaubar sind und allen zur Verfügung stehen;
- dass sie nützlich und anschlussfähig an die Praxis und an die wissenschaftlichen Theorien sind (vgl. ebd.: 341).
Somit sind verschiedene Rahmenbedingungen – wie auch „einfache Sprache, klare Abmachungen, gemeinsame Reflexion des Prozesses und der Ergebnisse“ (Graf 2015: 40) – in der partizipativen Forschung grundlegend.
Zum Gelingen des partizipativen Gruppenprozesses müssen zudem auch verschiedene Schwierigkeiten bzw. Grenzen der partizipativen Forschung berücksichtigt werden. „Der hohe Grad des Involviert- und Engagiertseins im Feld kann [...] dazu führen, dass sich die beteiligten Wissenschaftler/innen von den Denkweisen und Konzepten des Forschungsfeldes zu stark einnehmen lassen (going native)“ (Bergold/Thomas 2010: 338). Erforderlich sind daher eine kritische Distanz und verschiedene Methoden der Selbstreflexion bezüglich der Forschungssituation – wie „Forschungstagebücher, Memos, Forschungssupervision für Einzelne oder Gruppen“ (ebd.). Entgegen dem Ziel eines vertieften Erkenntnisprozesses kann die Unterschiedlichkeit der im Forschungsprozess beteiligten Personen auch dazu führen, „dass man sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner trifft und ein Wissen produziert wird, das durch die Machtverhältnisse im Feld verzerrt ist, keine Handlungsrelevanz besitzt und folgenlos bleibt“ (ebd.: 342). Des Weiteren verweisen Bergold und Thomas (ebd.) auf methodologische/methodische, praktische und wissenschaftspolitische Problempunkte.
So ergeben sich Fragen nach:
- dem erkenntnistheoretischen Status der Befunde
- der Reichweite ihrer Gültigkeit
- den angemessenen Qualitätskriterien
- nach der Beteiligungstiefe
- nach verschiedenen zu Verfügung stehenden Ressourcen
- der Anerkennung partizipativer Forschung in einem im Prinzip nomothetisch orientierten Wissenschaftsbetrieb
Doch auch die Stärken des partizipativen Forschungsansatzes werden deutlich: die durch die unterschiedlichen, aber gleichberechtigt beteiligten Personen erzeugte Multiperspektivität auf den Forschungsgegenstand und die dadurch gewonnenen lebenswelt- und praxisbasierten Erkenntnisse für eine Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen. Dies ist insbesondere in Forschungskontexten relevant oder sogar ethisch geboten, die inklusionsbezogene Themen wie beispielsweise künstlerische und kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu ihrem Gegenstand machen (siehe hierzu auch Markowetz 2009). Entscheidend ist die Möglichkeit des Perspektivwechsels bzw. die Möglichkeit zur Berücksichtigung verschiedener Perspektiven auf den jeweiligen Forschungsgegenstand.
Der partizipative Forschungsstil findet zunehmend Eingang in diverse Forschungsfelder, in denen die unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten eine inhaltlich entscheidende Rolle spielen und die auf eine Rückkopplung zwischen Forschung und Praxisfeld angewiesen sind. Die Strategie der partizipativen Forschung verfolgt das Ziel, „ein vollständiges und tiefes Wissen über den untersuchten Gegenstandsbereich zu erhalten“ (Bergold/Thomas 2010: 342). Durch den Einbezug aller am Forschungsthema beteiligten Personen sollen Erkenntnisse mit einer lebenswelt- und praxisbasierten Evidenz generiert und so eine positive Entwicklung und Verbesserung der Praxis und Lebenswelt gefördert werden. Für die Perspektive der inklusiven Forschung, hier mit einem expliziten Fokus auf partizipative Forschungsansätze mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, erscheint es besonders notwendig, die beschreibenden Qualitätskriterien weiter auszudifferenzieren und klar zu benennen, um die Qualität entsprechender Forschungsprojekte zu sichern. Mandy Hauser (2016) nimmt zu diesem Zweck eine feinere Unterteilung in drei Unterkategorien vor. So führt sie als erste Kategorie „grundlegende Qualitätskriterien“ für gemeinsames Forschen an und listet hier auf:
- Respekt und Wertschätzung
- Kompetenzorientierung
- Autonomie und Selbstbestimmung
In der zweiten Kategorie werden „Kriterien zur Gestaltung des Forschungsprozesses“ aufgeführt:
- Barrierefreiheit
- Angemessenheit
- Transparenz und Offenheit
- Flexibilität
In einem dritten Schritt geht es um die konkrete Zusammenarbeit der unterschiedlichen Teilnehmenden. Hier führt sie folgende Qualitätskriterien an:
- Partizipation und Inklusion
- Kompetenzentwicklung
- informierte Einwilligung (informed consent)
- Schadensfreiheit
Darüber hinaus werden in der Folge Qualitätskriterien beschrieben, die sich stärker auf das Produkt, also die Forschungsergebnisse und ihre Wirkung beziehen. Hauser nennt hier:
- Nützlichkeit
- Veränderung
- intersubjektive Nachvollziehbarkeit
- reflektierte Subjektivität
- Validität, bzw. Validierung
Hier ist anzumerken, dass sich die ersten beiden Punkte dieser letzten Gruppe (Nützlichkeit, Veränderung) auf einen eher inhaltlichen und ethisch-moralischen Aspekt von Wissenschaft und Forschung beziehen, wohingegen die drei letztgenannten (intersubjektive Nachvollziehbarkeit, reflektierte Subjektivität und Validität/Validierung) sich eher auf die methodischen Aspekte der Qualität der erhobenen Daten und der entsprechenden Auswertung und Analyse beziehen.
Aktueller Forschungsstand: Behinderung in Film und Fernsehen
Bezüglich Behinderung in Film und Fernsehen zeigt sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine positive Entwicklung: „Das Thema ist rein quantitativ deutlich präsenter geworden.“ (Bosse 2016: 3) Dennoch finden Menschen mit Behinderung in den Medien nicht die Berücksichtigung, die ihrem Anteil in der Bevölkerung entspricht (vgl. Radtke 2014: 43). „Across the 100 top-grossing movies of 2016, just 2,7 % of characters (n=124) were depicted with a disability.“ (Smith/Choueiti/Pieper 2017: 8) Obwohl sich hinsichtlich der Beteiligung von Darstellenden mit Behinderung in reguläre Dramaturgien eine leicht positive Entwicklung abzeichnet (vgl. Radtke 2006: 129), ist „in Deutschland […] die Präsenz von Menschen mit Behinderung bei den großen Sendern bisher noch unüblich“ (Bosse 2016: 12). Peter Radtke (2006) verdeutlicht ebenso, dass die in Film und Fernsehen dargestellten Behinderungsarten nicht die tatsächliche Vielfalt der Behinderungsarten widerspiegeln (vgl. ebd.: 125f.). Behinderungen werden in den Filmen von 2007 bis 2016 wie folgt repräsentiert: 64,5 Prozent körperliche Einschränkungen, 31,5 Prozent psychische Einschränkungen und 21,8 Prozent Einschränkungen der Kommunikation (vgl. Smith/Choueiti/Pieper 2017: 3). In vielen Fällen werden diese Darstellungen zudem „selektiv, fokussiert auf [die] Behinderung und in einer dramatisierenden Sprache dargestellt: Menschen, die ‚an ihren Rollstuhl gefesselt‘
oder ‚des Augenlichts beraubt‘ sind“ (Hackel-de Latour 2014: 4). Hier lässt sich also ein deutliches Desiderat hinsichtlich der Präsenz von Menschen mit Behinderung in den audiovisuellen Massenmedien festmachen.
Fernsehen hat als audiovisuelles Massenmedium die
Möglichkeit, Menschen mit Behinderung als gesellschaftliche Normalität zu
präsentieren. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten haben darüber hinaus
auch einen expliziten Bildungsauftrag, der unter anderem im
Rundfunkstaatsvertrag verankert ist. Daraus lässt sich zum einen der Anspruch
ableiten, dass die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) im Sinne
eines Designs for All barrierefrei zugänglich sein sollen. Allerdings muss der
erwähnte Bildungsauftrag bezogen auf das Phänomen Behinderung und seine
Präsenz, Rezeption und Bewertung in der Gesellschaft noch in einer weiteren
Lesart interpretiert werden. Entscheidend ist hier die Frage nach der medialen
Vermittlung des Phänomens Behinderung, entsprechender Bilder und Narrative, um
eine adäquate inklusionssensible
Bewusstseinsbildung, wie sie in Artikel 8 der UN-
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) beansprucht wird, zu fördern. So legt die ARD in ihren
Leitlinien fest:
Die ARD nimmt ihre Verantwortung gegenüber Menschen mit Behinderung auch dadurch wahr, dass sie die Gesellschaft für die Anliegen dieser Menschen sensibilisiert. Aus diesem Grund werden im Ersten Sendungen und Berichte angeboten, die sich mit der Situation von Menschen mit Behinderungen auseinandersetzen oder sie am Programm beteiligen.
(Das Erste o. J.: 55)
Aber „bisherige Studien zur Darstellung von Behinderung in non-fiktionalen Fernsehformaten machen deutlich, dass überwiegend kein gelassenes Miteinander im Sinne gleichberechtigter Teilhabe postuliert wird, sondern Menschen mit Behinderung zu einem Teil der Medienagenda werden, da ihre Besonderheit Nachrichtenwert besitzt“ (Bosse 2016: 4). Die klassischen Vorurteile und Klischees werden häufig aufgegriffen und so in Szene gesetzt, dass das einzige Ziel die Überwindung der Behinderung ist. So fühlen sich „Betroffene und ihre Angehörigen in den Medien sowohl quantitativ als auch qualitativ oftmals nicht angemessen repräsentiert“ (Radtke 2006: 120). Zudem weist Ingo Bosse darauf hin, dass die „Besetzung von Charakteren mit Behinderung durch Schauspieler mit eigener Behinderung immer noch ungewöhnlich“ (ebd.) ist.
Anzumerken ist dabei auch, dass die Forschungslage bezüglich Menschen mit Behinderung in Film und Fernsehen sehr begrenzt ist und entsprechende Inhaltsanalysen fehlen (vgl. Weber/Rebmann 2017: 18).
Forschungsfragen und Forschungsdesigns im partizipativen Forschungsfeld
Um die Forschungslage im Bereich „Behinderung in Film und Fernsehen“ zu ergänzen und authentische Inhaltsanalysen zu gewinnen, bietet der partizipative Forschungsstil eine vielversprechende Herangehensweise. Jan Walmsley und Kelley Johnson (2003) haben verschiedene Kennzeichen und Standards inklusiver Forschung aufgestellt: So sollen etwa das Forschungsthema und der Forschungsgegenstand zentrale Bedeutung für den Personenkreis von Menschen mit Lernschwierigkeiten haben. Die Forschung solle die Interessen der Menschen mit Behinderung vertreten und in ihrem Sinne arbeiten, wobei der Forschungsprozess auch durch Menschen, die als nicht behindert gelten, angeregt werden können – sie sind solidarisch jedoch den Interessen der Menschen mit Behinderung verpflichtet. Die Menschen mit Lernschwierigkeiten sollen die Kontrolle über den Forschungsprozess und die Forschungsergebnisse haben und dabei auch die Gelegenheit erhalten, selbst forschend tätig zu sein. Letztlich sollen alle Teile der Forschungsstudie barrierefrei für alle Menschen zugänglich sein: das heißt beispielsweise, dass Forschungsfrage, -prozess und die abschließende Forschungsdokumentation in Leichter Sprache verfasst sein sollten.
Für die Formulierung der Forschungsfrage sowie der Auswahl. bzw. Entwicklung des Forschungsdesigns sowie für die weiteren Teile im Forschungsprozess (Datenerhebung, Datenauswertung, Interpretation und Diskussion der Ergebnisse sowie Dissemination) ergeben sich durch die partizipative bzw. inklusive Herangehensweise Konsequenzen, die im Folgenden beschrieben werden sollen.
Auswirkungen partizipativen Vorgehens auf Erkenntnistheorie und Wissensgenerierung
Ziel der partizipativen Forschung ist die „Erweiterung des Wissens und der gemeinsamen Handlungsfähigkeit aller Beteiligten“ (Bergold/Thomas 2010: 342). In diesem Prozess gibt es somit kein privilegiertes Erkenntnissubjekt mehr, sondern alle Beteiligten gewinnen im Forschungsprozess gemeinsam Erkenntnisse. Es gibt zwar in diesem Prozess wissenschaftliche Expertinnen und Experten, die über methodisches Wissen verfügen, ihnen stehen aber Expertinnen und Experten der Lebenswelt gegenüber. Diese beiden Gruppen müssen partnerschaftlich die Forschungsthemen und -ziele aushandeln und gemeinsam bestimmen, welche Methoden angewendet werden sollen. „Es sollten vor allem solche Methoden eingesetzt werden, welche die jeweiligen Mitforschenden verstehen und durchschauen und an deren spezieller Weiterentwicklung im Rahmen der Forschungsfrage sie teilnehmen können.“ (Ebd.: 338) Die gemeinsame Forschungstätigkeit zielt darauf ab, das Wissen über den erforschten Problembereich zu erweitern und andererseits Lösungs- bzw. Handlungsansätze für die Problemfelder zu entwickeln. Erkenntnis und Handeln wechseln sich in einem zyklischen Prozess so lange ab, bis ein Zustand erreicht ist, der den Bedürfnissen und Vorstellungen der Beteiligten entspricht (vgl. ebd.: 340). Zu berücksichtigen ist die Forschungsmethode bzw. Art der Datenerhebung, welche auf die Kompetenzen und Ausdrucksmöglichkeiten aller Beteiligten abgestimmt werden sollte, um neue Erkenntnisse und Wissen zu erlangen. Daher ist neben der Verwendung von traditionellen, sprachgebundenen Erhebungsverfahren auch die Verwendung performativer Erhebungsmethoden sowie visueller, alltäglicher Dokumente oder verschiedener Kommunikationsformen zielführend (vgl. ebd.: 340f.). Die Datenauswertung stellt in der partizipativen Forschung eine besondere Herausforderung dar. Bergold und Thomas (ebd.) erläutern, dass komplexere Auswertungsstrategien und analytische Verfahren in der partizipativen Forschung reduziert und dabei die vorhandenen Kompetenzen der Beteiligten aber voll ausgeschöpft werden sollten, um die Entdeckung neuer Zusammenhänge zu ermöglichen.
Für die Beteiligten selbst bedeutet partizipative Forschung auch eine persönliche Entwicklungschance. Sie können die Anerkennung von vorhandenen Kompetenzen erfahren und sich in diesem Rahmen weitere Kompetenzen aneignen, die es ihnen erlauben, in der Zukunft besser und wirksamer zu reflektieren und zu argumentieren.
Partizipative Forschung zum Thema „Behinderung in Film und Fernsehen“
Sozial-, kultur- und erziehungswissenschaftliche Fragestellungen zum Zusammenleben von Menschen mit und ohne sogenannter Behinderung sollten – folgt man dem Leitgedanken eines partizipativen Forschungsstils – verstärkt sowohl von Menschen mit wie auch von Menschen ohne Behinderung bearbeitet werden. Bislang sind Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Bildungsbiografien häufig nicht systematisch in Forschung eingebunden. So soll partizipative Forschung im Bereich „Behinderung in Film und Fernsehen“ vor allem auch die Teilhabe der Menschen mit Behinderung in den Medien berücksichtigen und erweitern: „Medien haben einen erheblichen Einfluss auf die soziale Inszenierung von Behinderung und damit verbundenen Exklusions- und Inklusionstendenzen.“ (Bosse 2016: 1) Durch die partizipative Forschung in diesem Feld soll das Bewusstsein für die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung gestärkt, ihr gesellschaftlicher Beitrag gefördert sowie vor allem auch Fehlvorstellungen, Vorurteile und Klischees abgebaut werden. Bezogen auf Kommunikation und Medienrealität bedeutet Inklusion grundsätzlich, dass Personen mit Behinderung in der Kommunikation berücksichtigt werden, also präsent sind (vgl. Wansing 2005: 40).
„Die Medien [bilden] die wichtigste und oft einzige Informationsquelle über das Leben und die Möglichkeiten von Menschen mit einer Behinderung“ (Radtke 2006: 122), da im alltäglichen Leben separierende Strukturen, aber auch Berührungsängste und ein Mangel an positiven Erfahrungen eine intensive Begegnung und einen Austausch oftmals verhindern. Deshalb sind die Bilder, die von Menschen mit Behinderung in den Medien vermittelt werden, entscheidend: „Was sogenannte Nichtbehinderte über Menschen mit einer Behinderung wissen, erfahren sie in der Regel aus den Medien.“ (Ebd.) Partizipative Forschung leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dieses Wissen realitätsgetreu und qualitativ differenziert zu vermitteln.
Implementierung in den Hochschulkontext
Der Arbeitsbereich „Kulturelle Bildung und Inklusion“ an der Universität Siegen, befasst sich seit dem Jahr 2016 mit einer inklusionsorientierten Weiterentwicklung der drei zentralen Handlungsfelder im akademischen Kontext: Lernen, Lehren und Forschen. Nachdem mit den Kunst- und Klanglaboren bereits 30 Projekte im Kontext gemeinsamen Lernens und mit dem „ZEIT“-Projekt erste Erfahrung hinsichtlich der inklusiven Gestaltung von Lehre gemacht werden konnten (Gerland/Zielbauer 2016), wird derzeit ein Projekt zur inklusiven bzw. partizipativen Forschung durchgeführt.
Den Rahmen bildet das Modul Forschungsmethoden/Forschungspraxis des Masterstudiengangs „Bildung und Soziale Arbeit“. In diesem Modul haben die Masterstudierenden die Gelegenheit, über drei Semester eigene Forschungsarbeiten zu konzipieren und durchzuführen, um erste selbstständige Forschungserfahrung machen zu können. Das Seminarangebot „Partizipative Forschung: Menschen mit Behinderung in Film und Fernsehen“ möchte die Darstellung von Menschen mit Behinderung in audiovisuellen Medien untersuchen und die Bedeutungszuschreibung bzw. Konstruktion des Phänomens Behinderung in audiovisuellen Medien aufarbeiten und erforschen. Im ersten Teil des dreisemestrigen Projekts werden in Kooperation mit den Werkstätten für Menschen mit Behinderung der AWO in Netphen-Deuz Forschungsfragen und Forschungsdesigns formuliert und entwickelt. Zur Veranschaulichung und zur differenzierten Exploration des Forschungsgegenstands wurden die Perspektiven unterschiedlicher Akteure aus dem Kontext Behinderung in Film und Fernsehen im Rahmen von Gastvorträgen und Gesprächsrunden berücksichtigt, beispielweise wurden sowohl kulturwissenschaftliche Perspektiven ergänzt als auch die Perspektive der Schwerbehindertenvertretung des WDR sowie die einer inklusiven Schauspielagentur und einer inklusionsorientierten Produktionsfirma.
Im zweiten Teil folgt dann die Erhebung der Daten – entsprechend der zuvor entwickelten Designs. In dieser Phase erhalten die Forschungsteams Unterstützung in Form von Archivzugang, Materialverleih sowie durch die spezifische Expertise. In einem dritten Schritt sollen die Daten ausgewertet und die Projekte durch die Erstellung von Forschungsberichten abgeschlossen werden.
„Wenn es gelingt in die wissenschaftliche Forschung auf dem Feld des sonderpädagogischen Handelns die Menschen als Subjekte der Forschung wieder einzuführen, sie also partizipieren zu lassen, dann ist dies ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft.“ (Graf 2015: 40) Im gemeinsamen Diskurs und Forschungsprozess können die Bedingungen der sozialen Realität aufgedeckt und auf Möglichkeiten einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituationen untersucht werden. So kann die Forschung durch das partizipative Vorgehen eine „sozial-gesellschaftliche Praxiswirkung“ (von Unger 2014: 94) in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen – wie zum Beispiel im Bereich „Behinderung in Film und Fernsehen“ – entfalten.
Literatur
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- Gerland, Juliane/Zielbauer, Sisko (2016): Inklusionsforschung im Kunstlabor. Kunstforschung im Inklusionslabor. In: Diagonal, 37, S. 219-228.
- Goeke, Stephanie (2016): Zum Stand, den Ursprüngen und zukünftigen Entwicklungen gemeinsamen Forschens im Kontext von Behinderung. In: Buchner, Tobias/Koenig, Oliver/Schuppener, Saskia (Hrsg.): Inklusive Forschung. Gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten forschen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 37-53.
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