Wenn man wie ich mit einer Behinderung geboren wird, kennt man sich mit Widerstand und einem Pionierdasein schnell aus. Zumindest, wenn man auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben besteht. Das fing bei mir mit dem Durchsetzen des Besuchs einer Regelschule an.
Als es dann auf das Abitur zuging, stellte sich die Frage: Was will ich jetzt? Und obwohl ich während der Schulzeit immer wieder Theater gespielt hatte und niemand bin, die sich von anderen sagen lässt, was sie kann und was nicht, kam ich nicht auf die Idee, Schauspielerin zu werden. Ich weiß nicht, woher ich es hatte, aber irgendwie hatte sich die Idee in meinem Kopf festgesetzt: Das geht mit deiner Behinderung nicht. Bis ich rein zufällig von dem integrativen Schauspielstudiengang an der Akademie der darstellenden Künste (AdK) in Ulm hörte. Ab da war für mich klar, diese Ausbildung will ich machen! Doch auch hier traf ich auf Widerstände. Es war nicht die Aufnahmeprüfung, die ich durchaus bestand. Auch meine Eltern haben mich voll in meiner Entscheidung unterstützt. Das Problem war: Fast aller Unterricht fand im zweiten Stock ohne Aufzug statt und die Schulleitung sah keine Lösung. Erst als meine Mutter zusagte, sie würde mich begleiten und unterstützen, bekam ich eine Zusage.
Auch während der Ausbildung stieß ich immer wieder auf Widerstände: Hatte ich Fragen dazu, wie ich speziell eine Übung für mich umsetzen könne, bekam ich von Dozentinnen und Dozenten die Antwort, dafür seien sie nicht ausgebildet. Auch gab es Dozentinnen und Dozenten, die der Meinung waren, man bräuchte keine Schauspielerinnen und Schauspieler mit Behinderung. Käme das Thema „Behinderung“ mal in einem Stück vor, würde man eben einen Schauspieler oder eine Schauspielerin ohne Behinderung in einen Rollstuhl setzen und müsse sich dann auch nicht mit den behinderungsspezifischen Problemen auseinandersetzen. Mitschülerinnen und Mitschüler hatten Scheu, mit mir zu arbeiten, weil sie fürchteten, die Arbeit könne mit mir schwieriger sein oder sie wussten nicht, wie sie mich besetzen sollten. Meine Prüfungen bestand ich immer mit Erfolg, war mir aber nie sicher, ob damit gemeint war: „Dafür, dass du behindert bist“ oder ob ich mich doch im Vergleich auf Augenhöhe mit meinen Mitschülerinnen und Mitschülern befand. Mit der Aussage, ich brauche nicht zu glauben, dass ich jemals ein Festengagement bekäme oder mit der Schauspielerei meine Brötchen verdienen könne, wurde ich dann ins Berufsleben entlassen.
Seit 2014 bin ich nun in meinem ersten Festengagement am Staatstheater Darmstadt. Damit ist es das erste Theater, das Schauspielerinnen und Schauspieler mit Behinderung fest engagiert. Ich hatte Glück, Inklusion ist in den letzten Jahren mächtig „in“, es gibt überall Gelder für entsprechende Kultur- und Theaterprojekte. So war mein Berufseinstieg in der freien Szene einfacher als gedacht, wenngleich oft nicht ganz zufriedenstellend. Die integrativen und inklusiven Projekte, an denen ich teilhatte, waren meist auf semiprofessionellem Niveau und ich fragte mich, wofür ich meine Ausbildung gemacht hatte. Bei gelegentlichen Gastengagements an Stadttheatern sah das schon anders aus, doch spielte ich meist entweder in Stücken mit, wo Behinderung das Thema war oder ich als eine Art Special Effect eingesetzt wurde. Das kann man mal machen, langweilt mich persönlich aber schnell und nutzt sich auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer bald ab.
Unerwartet kam dann das Angebot vom Staatstheater Darmstadt. Auf den Bühnen der Theater von heute sähe man in der Regel nur den mittelständischen, gut gebauten, weißen Mann (und die dazugehörige Frau), hier wolle man ein Ensemble zusammenstellen, dass die Diversität der Gesellschaft widerspiegelt. Ich war begeistert! Und es war eine Wahnsinnschance für mich! „Im festen Ensemble werde ich auch andere Rollen bekommen als Special Effects und Figuren, die etwas mit dem Thema Behinderung zu tun haben. So viel gibt es da gar nicht, dass sich da ein Festengagement lohnen würde. Und ich bin ja Schauspielerin geworden, um mich auszuprobieren, „auf meine Behinderung werde ich schon in meinem realen Leben zur Genüge reduziert“, dachte ich. Doch wenn ich mir jetzt das Ensemble am Haus anschaue, sehe ich den mittelständischen, gut gebauten, weißen Mann (und die dazugehörige Frau) und einen Rollstuhlfahrer und eine Rollstuhlfahrerin. Das klingt dann eher nach dem, was heute unter Inklusion verstanden wird, als nach Diversität. Und wenn ich mir anschaue, was meine Rollen der letzten Spielzeit waren: Special Effects, Zuspielrollen und eine wunderschöne Kinderrolle, die wiederum naheliegt bei meiner Körpergröße von 90 cm. Ansonsten hatte ich erstaunlich viel Leerlauf. Meine erste Frauenrolle spiele ich grade, in einem Monolog. Es scheint unheimlich schwierig, Regisseurinnen und Regisseure davon zu überzeugen, mich zu besetzen. Regisseure und Dramaturginnen meinen wohl, meine Besetzung und vor allem meine Behinderung müsse eine Grundaussage für ihr Stückkonzept haben. Ja, ich gebe zu, man muss sich Gedanken darüber machen, was meine Besetzung für das Stück bedeutet und dabei auch meine spezielle Körperlichkeit berücksichtigen. So wie man sich über die Besetzung eines jeden Schauspielers und einer jeden Schauspielerin Gedanken machen sollte. Doch zurzeit habe ich das Gefühl, nicht ich, sondern meine Behinderung wird besetzt oder eben nicht. Dabei bringe ich wohl noch einige andere Aspekte mit, die bedenkenswert sind. Während die meisten Schauspielkolleginnen und -kollegen schnell ihre Berührungsängste ablegen und zu einer Offenheit und Natürlichkeit in der Arbeit mit mir finden, habe ich den Eindruck, all jenen, die vor allem mit dem Kopf arbeiten, fällt das wesentlich schwerer. Auch Kritikerinnen und Kritiker schreiben in ihren Artikeln meistens mindestens so viel über mich und meine Behinderung, wie über meine schauspielerische Leistung.
Ich selbst sehe es so: Ich kann genauso wie jede andere Schauspielerin alles spielen, aber eben auf meine Art und Weise. Wie jede und jeder auf die eigene Art und Weise spielt.
Mein Widerstand in meinem Leben ist die Gesellschaft, die immer meine Behinderung im Fokus sieht und manchmal gar nichts anderes. Deshalb spiele ich Theater für und gegen den Widerstand sowie wegen des Widerstands, aber vor allem, um ihn aufzulösen. Und um diesen Widerstand aufzulösen, der letztlich aus falschen Vorstellungen, Berührungsängsten und Barrieren im Kopf bezüglich des Lebens mit Behinderung besteht, möchte ich jede erdenkliche Rolle spielen, am besten die stinknormalste, ohne mir Gedanken machen zu müssen, was meine Behinderung für die Rolle bedeutet. Das heißt, ich möchte so spielen, als gäbe es all diese Berührungsängste usw. nicht. Denn ich glaube, nur so können die Zuschauerinnen und Zuschauer das auch vergessen und sich ganz auf die Geschichte und die Figur konzentrieren und hinterher vielleicht merken: Behinderung oder nicht ist gar nicht mal so wichtig, so anders ist es alles gar nicht. Das heißt aber nicht, dass man die Tatsache, wenn im Stück Dinge vorkommen, die ich rein körperlich nicht bewältigen kann, wegignorieren kann.
Meine aktuelle Figur spricht ständig von „hörbaren Schritten“ und macht sie auch. Da mussten wir uns etwas einfallen lassen, was bei meiner Körperlichkeit plausibel erscheint. Macht man das nicht, entstehen Widersprüche, die ablenken und doch wieder Fragen bezüglich der Bedeutung der Behinderung aufwerfen.
Was ganz klar ist: Ich kann mich rein körperlich weniger an die Form anpassen als meine Kolleginnen und Kollegen, da habe ich einen engeren Spielraum. Die Form muss verstärkt mir angepasst werden. Ist der Regisseur oder die Regisseurin auf eine Spielform festgelegt, die ich körperlich nicht bewältigen kann, werde ich entweder bloßgestellt oder kann die Rolle nicht besetzen.
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