Wie kann ein nationaler Aktionsplan zur Teilhabe an Kultur aussehen? Thematisierung, verbindlichen Konzepte, Best-Practice-Beispiele sind erste Schritte zur verbrieften Teilhabe.
1) Wie beurteilen Sie die Präsenz der Kultur im Inklusionsdiskurs?
Menschen mit Behinderung sind in der Kunstgeschichte, zumindest in der bildenden Kunst, im Bereich der Art-Brut, schon seit langer Zeit ein Thema. Bildnerische Äußerungen von Menschen mit geistiger oder seelischer Besonderheit werden mit großem Interesse gesammelt und ausgestellt. Man erkennt in ihnen eine sehr anrührende nonverbale Form der Kommunikation. Man sieht in ihnen die Übermittlung von Botschaften, zu denen die Menschen in Worten nicht fähig gewesen wären und man erkennt eine höchst qualitätsvolle künstlerische Ausdrucksform, welche von vielen Künstlerinnen und Künstlern als besonders inspirierend empfunden wird. In dem Zusammenhang ist als ein Beispiel Seraphine Louis zu nennen, die in ihren späten Jahren psychisch erkrankte Aufwartefrau des berühmten Kunstsammlers Wilhelm Uhde, derer auch in jüngster Zeit in Filmen, Büchern und Ausstellungen gedacht wird. Einige ihrer großformatigen Arbeiten waren in der Ausstellung „Der Schatten der Avantgarde“bis Januar 2016 im Museum Folkwang in Essen zu sehen.
Wie also kann ein nationaler Aktionsplan zur Teilhabe an Kultur aussehen? Thematisierung, gemeinsames Entwickeln von verbindlichen Konzepten, Best-Practice-Beispiele sind erste Schritte zur verbrieften Teilhabe. So wie beispielsweise in Neuss verbindliche Konzepte hinsichtlich kultureller Teilhabe im Rahmen der Interkultur oder von Kultur und Schule entwickelt wurden, bedarf es solcher verbindlichen Absprachen auch hinsichtlich der Teilhabe im Rahmen der Inklusion.
2) Schildern Sie Ihren persönlichen Blick auf Kultur im inklusiven Kontext!
Es bedarf vor allem des Mitdenkens aller am Kulturleben Beteiligten bezüglich der Teilhabe aller. Mitdenken heißt, schon bei der Gestaltung einer Einladungskarte nicht, wie gemeinhin üblich, den mittelalten deutschen Bildungsbürger vor Augen zu haben, sondern für wirklich jede und jeden zu schreiben und die Tür für jede und jeden zu öffnen. Gedanklich, thematisch und eben sächlich.
Auf diesem Feld ist noch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten, denn nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Menschen anderer Kulturen oder anderer Orientierung oder anderen Geschlechts werden in unserer Gesellschaft und auch in der Kultur benachteiligt und als Teilhabende nicht in den Blick genommen und auch nicht aktiv beteiligt.
Genau deshalb ist es wichtig, mit solchen Veranstaltungen wie den von Susanne Keuchel und der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW veranstalteten Netzwerktreffen Kultur und Inklusion auf diesen Umstand hinzuweisen und vor allem miteinander ins Gespräch zu kommen.
3) Welche Ideen und Wünsche haben Sie perspektivisch für den Kontext Kultur und Inklusion?
Ist es nicht eigentlich beschämend, das Thema Teilhabe von
Menschen mit sogenannten Behinderungen am kulturellen Leben, am Kulturarbeitsmarkt
diskutieren zu müssen? Ist nicht gerade die Kultur der Bereich, der dafür
prädestiniert ist, allen Menschen Teilnahme selbstverständlich zu offerieren?
Dies muss gelten für die Besucherinnen und Besucher sowie die aktiv
Teilnehmenden an kulturellen Veranstaltungen. Dies muss gelten für die aktiven
Künstler und Künstlerinnen im Kulturbereich. Dies muss aber auch gelten in der
Arbeitswelt, der sogenannten kreativen Wirtschaft. Dies bedeutet zwangsläufig,
dass auch die Bedingungen für eine uneingeschränkte Teilhabe aller in allen
Bereichen gegeben sein müssen. Hierzu bedarf es sächlicher Voraussetzungen wie
des barrierefreien Zutritts zu allen Kulturveranstaltungen, zu allen
Kulturbüros, und auch zu allen kreativen Werkstätten.