Beim internationalen EU-Kulturprojekt „Un-Label“ befassen sich rund 100 Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung aus ganz Europa über einen Zeitraum von zwei Jahren (Mai 2015 bis Juni 2017) mit neuen inklusiven und innovativen Möglichkeiten der darstellenden Künste.
Die enge Zusammenarbeit mit Künstlern mit einer Behinderung hat mir neuen kreativen Input gegeben.
Ich war sehr fasziniert von der Entwicklung in der Gruppe und dem Abbau von Hemmschwellen.
Die Umsetzung erfolgt im Rahmen verschiedener Workshops, einer Künstlerresidenz und einer großen multidisziplinären Tanztheaterproduktion, die als nationales und internationales Gastspiel auf bekannten Festivals präsentiert wird. Teil des Projekts sind zusätzlich internationale Symposien und neue Audience-Development-Methoden, in Form von Text- und Audiobeschreibungen, mit dem Ziel, auch gehörlose Menschen und Menschen mit Sehbehinderung an allen Veranstaltungen teilnehmen lassen zu können.
„Un-Label“ bedeutet „nicht abstempeln“ und wendet sich an Menschen, die in unserer europäischen Gesellschaft oft negativ gezeichnet werden. Hierzu schafft das Kulturprojekt einen Gegenpol – das vielfältige kreative Potential aller Beteiligten wird sichtbar gemacht und es wird gezeigt, wie Menschen in künstlerischen Produktionen und Aktivitäten zusammenkommen und miteinander auf professioneller Ebene arbeiten können.
Bekanntlich ist der Mangel an zugänglichen Beteiligungsmöglichkeiten eine der größten Barrieren für Menschen mit Behinderung, um ihnen die Möglichkeiten einer gleichberechtigten Teilhabe zu bieten. Wir glauben allerdings, dass es insbesondere im Kunst- und Kultursektor möglich ist, im Bereich der inklusiven Partizipation wegweisende und erfolgreiche Praktiken für eine bessere Beteiligungschance zu installieren. „Un-Label“ ist ein innovatives Projekt, das den Künstlerinnen und Künstlern mit und ohne Behinderung Möglichkeiten bietet, ihre Fähigkeiten gemeinsam zu entwickeln und voneinander neue Kompetenzen zu erlernen. Es unterstützt außerdem die Ländergrenzen überschreitende Mobilität der Künstlerinnen und Künstler und bietet ihnen einen Zugang zu professionellen Arbeitsmöglichkeiten. Wir beziehen uns mit diesem Ziel besonderes auch auf den Artikel 32 „Internationale Zusammenarbeit“ im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung vom 13. Dezember 2006, der besagt, dass die Vertragsstaaten die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit und deren Förderung zur Unterstützung anerkennen und für die Verwirklichung des Zwecks und der Ziele wirksame Maßnahmen getroffen werden sollen.
„Un-Label“ wird durchgeführt vom Verein der Freunde und Förderer des Sommertheaters Pusteblume e. V. Der Kölner Verein ist seit mehr als 20 Jahren erfolgreich im Bereich der Kulturförderung für Menschen mit und ohne Behinderung tätig. Er hat die Aufgabe, die musisch-kulturelle Entwicklung von Menschen mit und ohne Behinderung zu fördern sowie die Kommunikation zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu unterstützen.
Verwirklicht wird dies insbesondere durch die Organisation und Unterstützung kultureller Veranstaltungen und durch die Umsetzung von Fortbildungen und Beratung.
Mit dem inklusiven internationalen Projekt „Verflüchtigung – Can there be identity without otherness?“ (gefördert unter anderem durch Aktion Mensch) initiierte der Verein von November 2013 bis heute eine inklusive internationale Plattform auf hohem professionellem Niveau, die ein inklusives künstlerisches Schaffen ermöglicht. Aus den Erfahrungswerten von „Verflüchtigung“ wurde das Projekt „Un-Label“ konzeptioniert, mit dem Ziel, die Entwicklung und Durchführung von darstellender Kunst auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln und den Künstlerinnen und Künstlern neue innovative und internationale Wege zu ermöglichen.
Kooperationspartner und Förderung
„Un-Label“ kooperiert mit verschiedenen nationalen und internationalen Partnern und ist stark in lokale Kulturstrukturen in Nordrhein-Westfalen eingebunden. Das Projekt kooperiert unter anderem mit dem in Köln und in der Region sehr etablierten Sommerblut-Kulturfestival, wodurch eine Integration des Projekts in das soziokulturelle Leben der Kölner Kulturszene gewährleistet und ein breites Publikum erreicht wird. Durch die Kooperation mit dem Zirkus- und Artistik Zentrum (ZAK) Köln hatten wir die Möglichkeit, alle in Köln stattfindenden Aktivitäten in deren barrierefreundlichen Räumlichkeiten durchzuführen. Gemeinsam mit dem Institut für Bildung und Kultur e. V. (ibk) haben wir im Mai 2016 das internationale Symposium „ALL IN: Qualität und Öffnung von Kulturarbeit durch Inklusion“ organisiert.
Das Kulturamt und der Behindertenbeauftragte der Stadt Köln unterstützen die Produktion auf ideeller Ebene und bewerten das Projekt als äußerst positiv und zukunftsweisend für die Kulturlandschaft.
Die internationalen Partner sind der griechische Verein
SMouTH, die englische mixed-abled Tanzkompanie Candoco Dance und der türkische
Verein SKYGD
(Sosyal Kültürel Yaşamı Geliştirme Derneği; Englisch: Development of Social and
Cultural Life). Durch die Zusammenarbeit der Partner werden Synergien
geschaffen und Kompetenzen gebündelt, die zu neuen innovativen und visionären
Ansätzen in der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern mit und ohne
Behinderung führen, die in der gegenwärtigen europäischen Kulturlandschaft so
nicht oft zu sehen sind. Des Weiteren wird das Projekt unterstützt von „Disability
Arts International“, der führenden internationalen Plattform für inklusive
Kunst und Kultur des British Council.
Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch die Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule (TH) Köln. Die Maßnahmen der Audio- und Textdeskriptionen (Audience Development) werden in Kooperation mit dem Institut für Translation und Kommunikationswissenschaften der TH Köln umgesetzt.
Gefördert wird das Projekt von der Europäischen Union im Programm „Creative Europe“, der Aktion Mensch, der Kämpgen Stiftung, der Annemarie und Helmut Börner-Stiftung, Hans-Günther-Adels-Stiftung und der Sparkasse KölnBonn sowie vielen weiteren nationalen und internationalen Unterstützern und Sponsoren.
Referenzen
- gefördert durch das „Creative Europe Programm“ der Europäischen Union;
- 2. Platz des ersten bundesweiten Inklusionspreises 2016 der Gold-Kraemer Stiftung;
- unterstützt und Kooperationspartner vom British Council – „Disability Arts International“[1];
- aufgeführt vom Deutschen Kulturrat als Best-Practice-Projekt;
- bisher 1474 Facebook-Follower mit über 700 000 erreichten Personen;
- 1400 Newsletter-Abonnentinnen und -Abonnenten EU-weit.
Ziel von „Un-Label“ ist …
- … alle Arten von Barrieren zu reduzieren und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung im kulturellen Bereich der Gesellschaft zu realisieren. Kulturelle Vielfalt in den darstellenden Künsten, als entscheidender Faktor für ein gelingendes Zusammenleben in Europa, steht hierbei im Mittelpunkt.
- … die Weiterentwicklung der künstlerischen Fähigkeiten sowie die grenzüberschreitende Mobilität und Internationalisierung von Künstlerinnen und Künstlern mit und ohne Behinderung zu unterstützen und ihnen einen Zugang zu professionellen Beschäftigungspraktiken zu bieten.
- … das Bewusstsein des Publikums bezüglich der grundsätzlichen Bedeutung des Andersseins zu schärfen. Wir können nur wir selbst sein, weil wir anders sind!
- … der Aufbau eines europäischen Netzwerks, in dem innovative Wege der Zusammenarbeit und neue Methoden erprobt und gefestigt werden können.
Die Umsetzung
„Un-Label“-Workshops
Im bisherigen Projektverlauf hat „Un-Label“ europaweit interdisziplinäre Workshops für Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung durchgeführt. Die in Deutschland, der Türkei und Griechenland stattfindenden Workshops wurden von einer internationalen mixed-abled Künstlergruppe durchgeführt, die sich im Jahr 2014 durch die inklusive multidisziplinäre Tanztheaterproduktion „Verflüchtigung – Can there be identity without otherness?“ zusammengefunden hat.[2]
Die neunköpfige Künstlergruppe kam zuvor in einem fünftägigen Trainingsseminar in Köln zusammen, um gemeinsam mit dem künstlerischen Leitungsteam das Konzept und die Methodik für die inklusiven Workshops aus den verschiedenen künstlerischen Disziplinen zu erarbeiten. Durch das Seminar wurden die Künstlerinnen und Künstler angeleitet und befähigt, in dem darauffolgenden Prozess des Projekts selbständig die Workshops für andere Künstlerinnen und Künstler im In- und Ausland durchzuführen.
In den Workshops zeigten die Coaches über eine genreübergreifende Mischung, wie verschiedene künstlerische Methoden aus dem Bereich der darstellenden Kunst in der inklusiven Praxis zum Einsatz kommen. Gemeinsam wurden neue Wege des künstlerischen Ausdrucks erarbeitet.
„Un-Label“ – die Produktion „L“ – Do I need Labels to Love?
Nach Abschluss der Workshops wurde aus allen 100 teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern das Ensemble für die kommende Produktion zusammengestellt. Die Ergebnisse der Workshops flossen dann in die einmonatige Künstlerresidenz ein, die vom 14. April bis 11. Mai 2016 in Köln stattfand. In der Residenz erarbeitete die mixed-abled Kompanie, bestehend aus 16 internationalen Künstlerinnen und Künstlern aus Belgien, Brasilien, Tschechischen, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Schweden, Türkei und Großbritannien, eine multidisziplinäre Tanztheaterproduktion, die eine Antwort auf die Frage sucht „Do I need Labels to Love?“.
Die Inszenierung „L“ by „Un-Label“ spiegelt mit ihren genreübergreifenden Kunstformen Tanz, Schauspiel, Akrobatik, Musik, Videokunst- und Poetry die Vielfältigkeit der beteiligten Künstlerinnen und Künstler wider. Mit den anschließenden Aufführungen auf international bekannten Festivals in Deutschland, der Türkei und in Griechenland wird ein breites Publikum erreicht, sodass eine Auseinandersetzung mit den Themen „Anderssein“ und „Inklusion“ in den darstellenden Künsten auf einer internationalen gesellschaftlichen Ebene stattfinden wird.
Die Premiere fand im Rahmen des Sommerblut-Kulturfestivals am 12. Mai 2016 in Köln statt.
Alle Vorstellungen im In- und Ausland werden durch Audio- und Textdeskription für Sehbeeinträchtigte und gehörlose Zuschauerinnen und Zuschauer in der jeweiligen Landessprache zugänglich gemacht.
„Un-Label“-Symposien
Teil des Projekts sind außerdem Symposien, die in jedem Land durchgeführt werden und in denen Künstler, Kulturakteurinnen sowie Vertreter aus Wissenschaft und Politik zusammengeführt werden. Im Rahmen der Symposien wird es einen intensiven Austausch geben, mit dem Ziel, inklusive Ansätze, Methoden, politische und gesellschaftliche Dimension sowie praktizierte Diversity-Ansätze in den verschiedenen europäischen Ländern kennenzulernen und zu diskutieren.
ALL IN: Qualität und Öffnung von Kulturarbeit durch Inklusion
Am 3. bis 4. Mai 2016 fand in Köln das große internationale Symposium „ALL IN“statt. Das Symposium ging den Fragen nach, wie Inklusion in der kulturellen Praxis qualitätsvoll gestaltet werden kann und wie sich Kultureinrichtungen und Akteurinnen und Akteure für diese Vielfalt von Fähigkeiten öffnen können.
Das Symposium war eine gemeinsame Veranstaltung von „Un-Label“, dem ibk, intakt und dem Sommerblut-Kulturfestival.
„Un-Label“ – Best Practice
Alle Projektelemente werden am Ende mit einer Zusammenstellung von inklusiven Projekt-Beispielen aus ganz Europa in einer Broschüre veröffentlicht.
„Un-Label“ möchte durch eine Sammlung ausgewählter europäischer Best-Practice-Beispiele einen Überblick zu inklusiven Kulturkonzepten geben und dadurch auf internationaler Ebene neue Wege in den darstellenden Künsten aufzeigen.
Die Broschüre wird professionelle Kulturakteurinnen und -akteure mit inklusiven Leitbildern vorstellen und deren Methoden, Erfahrungen, Perspektiven dokumentieren. Sie erfasst die derzeitige Situation im Bereich der inklusiven darstellenden Künste, zeigt, welche Ziele aktuell verfolgt werden und welche Entwicklungen zukünftig zu erwarten sind.
So hinterfragt zum Beispiel eine Mixed-abled-Performance Faktoren wie Politik, traditionelle Erzählweisen, ästhetische Normen und Zwänge. Zudem muss sie sich in besonderer Weise mit strukturellen Bedingungen wie Zugänglichkeit, Kommunikation und Zeitmanagement auseinandersetzen.
Mit der Publikation soll außerdem erreicht werden, dass das Bewusstsein sowie das Verständnis für professionelle Projekte mit inklusiven Konzepten allgemeingültiger und somit selbstverständlicher werden. Die Bereitstellung eines inklusiven Kulturleitfadens als Teil der Broschüre soll zusätzlich dazu ermutigen, eigene Projekte mit inklusiven Inhalten und barrierearmen Zugängen umzusetzen.
„Un-Label“ geht weiter
Das Projekt ist darauf angelegt, über das zeitliche Projektende hinauszuwirken. Nach Ablauf der Projektlaufzeit ist zum einen geplant, das Konzept der inklusiven Workshops auf andere Zielgruppen auszuweiten. Außerdem wollen wir mit der aus dem Projekt entstandenen Kompanie weiterarbeiten, um neue Performances kreieren und ein regelmäßiges Trainingsangebot für Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung in Köln installieren zu können.
Ein großer internationaler Folgeantrag wurde bereits im EU-Programm „Creative Europe“ eingereicht.
Weitere Informationen:
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[1] Siehe www.disabilityartsinternational.org/collaboration.
[2] Siehe www.verfluechtigung.eu.