In einem dreijährigen Praxisversuch soll systematisch die Zugänglichkeit zur Kultur, kulturellen Veranstaltungen und Qualifikation im künstlerischen Bereich erweitert werden. Ein Teil des Projekts befasst sich mit einer besonderen Form der Aktionsforschung durch Menschen mit Lernschwierigkeiten und Mobilitätseinschränkungen.
Für die Beteiligten bilden sich im Lauf des ersten Jahres bestimmte Zielvorstellungen heraus. Es geht nicht nur darum, allgemeine Barrieren gegenüber der „Kultur“ in einer Stadt dingfest zu machen, sondern vor allen Dingen die individuelle „Verortung“ zum Thema zu machen.
- Welche Art von Kulturbegriff und Kulturveranstaltung passen zu mir?
- Was zähle ich zu den Vorteilen einer Beschäftigung mit Kultur?
- Wie sehen das andere „Normalbürger“ und „-bürgerinnen“?
- Wie können eigene Äußerungen und Eindrücke, aber auch Interviews und Gespräche festgehalten und verglichen werden?
- Wie kann die „mediale Ausbeute“, das heißt, wie können Video-Aufnahmen von unzähligen Aktionen als Präsentation einem Publikum entgegengehalten werden?
Ohne im Einzelnen die seit 2016 laufenden Aktivitäten zu beschreiben, wird für die Frage der Qualifizierung ein Aspekt aus diesem breiten Feld der Aktionsforschung wichtig. Menschen mit Behinderung erfahren in dieser längerfristigen Auseinandersetzung eine gezielte Fortschreibung ihrer vorhandenen Möglichkeiten, die eigene Perspektive und fremde Sachverhalte zu verstehen und darzustellen. Initiiert wurde dieser Teil des Projekts „Kultur ohne Ausnahme“ durch Harald Sickinger, den Vertreter der Agentur für unschätzbare Werte.
In der ständigen Auseinandersetzung mit der aus ca. acht Personen bestehenden Gruppe ergaben sich die ganzen Standardthemen der Lebensführung von Menschen in benachteiligenden Lebensverhältnissen. Die Projektaktivitäten führen über die Bestandsaufnahme und Bewertung dieser Situationen hinaus und geben den Beteiligten die Möglichkeit, an Berufsfelder anzudocken.
Schritte zur Professionalisierung
Längst sind
diese Arbeitsmöglichkeiten „nur“ Praktika. Dennoch sind diese Praktika für die
Beteiligten aus unterschiedlichen Bereichen der großen Werkstätten für Menschen
mit Behinderung ein Anstoß, die gängigen Wege der angeordneten und zur Routine
gewordenen Arbeit zu verlassen. Die Chancen einer Tätigkeit – quasi im
Profifeld – ergaben sich zum Beispiel für eine Rollstuhlfahrerin über einen
mehrwöchigen Aufenthalt als Praktikantin bei der örtlichen Zeitung.
Grundsätzlich waren schon die Erfahrungen der Redaktionsangehörigen mit
jemandem, für den das Gebäude allein schon eine Herausforderung darstellte, ein
gezielter Beitrag zur Diskussion „inklusiver Themen“. Darüber hinaus entstand
als Dauerthema die Platzierung von Artikeln, Berichten, Kommentaren etc. zu
einschlägigen Themen der Zugänglichkeit von Kultur. Die Verbindung zu einem
Büro der barrierefreien Kommunikation war eine weitere Perspektive dieses
Praktikums. Die Nähe der Redaktionsgruppe zu Veranstaltern mit barrierefreien
Voraussetzungen ergab sich als unmittelbare Folge dieses Praktikums.
Fazit I
Noch ist
nicht absehbar, ob sich die Rolle von festen freien Mitarbeiterinnen oder
Mitarbeitern im Medienbereich, sprich bei einer Zeitung, in solcher Form
ermöglichen lässt. Die Ansätze und die verdichteten Beziehungen sprechen allerdings
dafür.
Bei einem weiteren Projektbeteiligten ergab sich ein starkes Interesse, Veranstaltungsorganisation und Management im praktischen Tun zu begleiten. Die Chancen, bei mehreren Veranstaltungen nicht nur die Raumordnung herzustellen, sondern auch einfache technische Vorgänge bei Videoproduktionen nachzuvollziehen, ergaben Aussichten auf Tätigkeiten, nicht nur im ehrenamtlichen Bereich. Als Vision könnte sich ein neues Berufsbild des Fachwerks im Veranstaltungsservice herausarbeiten lassen. Allerdings sind dazu über die persönlichen Voraussetzungen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin hinaus noch wenig offene Strukturen zu finden.
Fazit II
Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin mit den besonderen organisatorischen Fähigkeiten wird im Rahmen des Festivals „Kultur vom Rande 2017“ in dieser Form eingesetzt werden.
Zu Fortschritten im Projekt
„Kultur ohne Ausnahme“ steht für die stetige und nachhaltige Veränderung einer kulturellen Teilhabe für Menschen mit Einschränkung in einer Stadt. Durch den Anschub der Kulturfestivals in den Jahren 2000 bis heute wurde immer wieder deutlich, dass es in den Zwischenberufen von künstlerischer Aktivität und organisatorischer Logistik eine Reihe von Dauerbeschäftigungen geben könnte, die auch entsprechend vergütet werden müssten. Allerdings gehen solche Prozesse sehr langsam und brauchen die derzeitigen Strukturen (Arbeitsplätze in Werkstätten, Projektteilnahme, veränderte Kulturveranstaltungen …).
Neben den neuen Veranstaltungsformaten im Kulturleben von Reutlingen (franz.K)[1] und den Angeboten zur künstlerischen Ausbildung (z. B. Musik) hat sich der oben beschriebene Arbeitsbereich der forschenden Expertinnen und Experten zu einem „brauchbaren“ Fachwissen in verschiedenen Bereichen ausgebaut. Als Beispiele wurden die Veranstaltungsorganisation und die Teilnahme im Medienbereich genannt. Die Projektzeit bis 2018 wird zeigen, inwiefern sich die jetzt entwickelnden Fähigkeiten der Beteiligten als Berufsqualifikationen beschreiben lassen.
Weitere Informationen:
[1] Siehe www.franzk.net.
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