Das Verfahren der Audiodeskription ermöglicht blinden und sehbeeinträchtigten Menschen uneingeschränkten Zugang zu Filmen, Opern- und Theaterproduktionen, Museen, touristischen Angeboten sowie Kultur- und Sportveranstaltungen. Durch akustische Erläuterungen werden wesentliche visuelle Informationen von qualifizierten Autorinnen und Autoren in eine präzise, knappe Sprache übersetzt.
Das blinde Publikum empfängt die Erläuterungen zum Beispiel im Fernsehen über den zweiten Tonkanal oder bei Live-Veranstaltungen über Audioguides und Kopfhörer, alternativ auch mit dem eigenen Smartphone über eine App.
Anwendungsbereiche
1975 entwickelten Gregory Frazier und August Copolla die Idee der Audiodeskription in den USA. Seit 1997 produzieren in Deutschland öffentlich-rechtliche Fernsehsender Hörfilmfassungen; und seit 2013 bieten die Fernsehanstalten das Hauptabendprogramm und die Vorabendserien mit akustischen Bildbeschreibungen und Untertiteln für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit an. Audiodeskriptionen werden für Spielfilme, Serien und Dokumentationen produziert. Für Wissenssendungen, besondere Events und Sportveranstaltungen wird eine Live-Audiodeskription realisiert. Die öffentlich-rechtlichen Sender stellen viele ihrer Sendungen ebenfalls in den Mediatheken bereit. 2016 haben sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR), das Österreichische und das Schweizer Fernsehen auf einheitliche Standards zur Erstellung von Audiodeskriptionen geeinigt.
Die privaten Fernsehsender bieten bisher keine Formate mit Audiodeskription an. Im Bereich Video on Demand (VoD) gibt es fast gar keine Angebote. Netflix stellt als erster VoD-Anbieter seit 2016 vereinzelt Serien und wenige deutsche Filme mit Audiodeskription bereit.
Im Internet lassen sich ebenfalls nur sehr wenige Filme mit einer Beschreibung finden. Seit 2017 gibt es das erste Mal in Deutschland speziell für Videos im Internet den Einsatz von synthetischen Stimmen. Mithilfe einer Text-to-Speech-Technologie (TTS) übernimmt eine Sprachsynthese den Part der Sprecherin oder des Sprechers, indem das Manuskript mittels künstlicher bzw. elektronisch generierter Stimme automatisiert als Lautsprache wiedergegeben wird. Dazu wurde eine Software namens Frazier zur Erstellung von Audiodeskription entwickelt, die auch eine TTS-Ausspielung ermöglicht. Mit Frazier lassen sich als erste Software eine Digitalisierung des Produktionsprozesses umsetzen und einzelne Arbeitsschritte optimieren. Anwendung könnte die TTS-Audiodeskription bei Image-, Produkt- und Werbeformaten, Nachrichten, Dokumentationen, Reportagen und Magazinen finden.
Nach § 15 Abs. 6/h des Filmfördergesetzes der Filmförderanstalt (FFA) muss seit 2014 jeder von der FFA, dem Deutschen Filmförderfonds (DFFF) sowie von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderte Film bereits zum Kinostart mit einer barrierefreien Fassung (Audiodeskription für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen und Untertitel für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit) ausgestattet sein. Seit 2017 gibt die FFA Empfehlungen zur Erstellung von Audiodeskriptionen an Filmproduktionsfirmen und Filmverleiher heraus. Diese orientieren sich an den Standards des Fernsehens.
Unter den Filmfestivals sind die „Internationalen Filmfestspiele Berlin“ beispielhaft hervorzuheben: Seit über zehn Jahren gibt es regelmäßig Hörfilm-Angebote zu Filmen aus den verschiedenen Sektionen, organisiert von externen Dienstleistern. Seit 2018 werden die Koordinierung der Angebote das erste Mal vom Festival selbst übernommen und ein Budget für die Ausspielung der Audiodeskription zur Verfügung gestellt.
Für den barrierefreien Zugang zu Schauspiel- oder Musiktheaterproduktionen gibt es bisher keine gesetzliche Regelung. Dies betrifft auch das Angebot in Museen und Ausstellungen. Im Theater- und Opernbereich bieten lediglich drei Häuser (Schauspiel Leipzig, Musiktheater im Revier, Theater Bielefeld) regelmäßig Aufführungen mit einer Live-Audiodeskription an. An anderen Häusern finden nur einzelne inklusive Veranstaltungen statt. Die Finanzierung erfolgt in diesem Fall ausschließlich über externe Gelder, wie zum Beispiel durch Fördermittel von Stiftungen oder Sponsoren. Dadurch können keine kontinuierlichen Angebote aufgebaut werden.
Ein weiterer Anwendungsbereich ist bisher fast gar nicht im Bewusstsein von Veranstaltern: Bei Tagungen, Konferenzen oder Veranstaltungen jeglicher Art vermitteln Live-Beschreiberinnen und -Beschreiber blinden und sehbehinderten Teilnehmenden alle visuellen Informationen zu Referierenden, PowerPoint-Materialien und Videoeinspielern.
Technische Anwendung
Im Fernsehen erfolgt die Ausspielung der Audiodeskription über das Zweikanalton-Verfahren, auf den digitalen Verbreitungswegen über Satellit, über Kabel und terrestrisch. Über Kanal eins wird der Originalton empfangen, über Kanal zwei die Mischung aus Filmton und Bildbeschreibung. Für den Empfang ist ein digitaler Receiver nötig, der die Auswahl der einzelnen Tonkanäle ermöglicht. Die Audiodeskription muss mithilfe der Fernbedienung aktiviert werden.
In einigen wenigen Kinosälen sind Audioguide-Anlagen installiert, die Übertragung der akustischen Erläuterungen vom Digital Cinema Package (DCP), der digitalen Filmkopie, erfolgt auf Funkbasis. Die blinden Besucherinnen und Besucher können dazu Empfängergeräte und Kopfhörer ausleihen. Alternativ lässt sich die Audiodeskription auch über zwei Apps erleben: die App Greta und die App Cinema Connect. Beide Apps können kostenlos aus App-Stores herunterladen werden. Bei der App Greta wird die Monospur der Audiodeskription bereitgestellt. Im Kino erkennt die App auf dem Smartphone der blinden Besucherinnen und Besucher den Filmstart anhand des Filmtons automatisch und spielt die Hörfilmfassung synchron ab. Das Cinema-Connect-System basiert auf einer Audio-Streaming-Technologie via W-LAN. Direkt vom DCP wird die Audiodeskription auf das Smartphone der Besucherinnen und Besucher gestreamt.
Bei Theater- und Opernveranstaltungen kommen ebenfalls Audioguide-Anlagen auf Funkbasis zum Einsatz. Die blinden Besucherinnen und Besucher empfangen die live eingesprochenen Kommentare über Empfängergeräte und Einohrkopfhörer. Auch hier kann als zweite Möglichkeit ein über W-LAN funktionierendes Streaming-System (Mobile Connect) angewendet werden.
In Museen werden für blindengerechte Audio-Führungen Multimediageräte oder Audioguides mit Kopfhörern angeboten.
Grundlagen bei der Produktion einer Audiodeskription
Filme zu beschreiben, ist eine kreative und sprachlich anspruchsvolle Arbeit. Hörfilmautorinnen und -autoren brauchen vielfältige Fähigkeiten und Fertigkeiten: ein sicheres Sprachgefühl, Leidenschaft für Detailarbeit und Präzision sowie Kenntnisse über Dramaturgie und filmisches Erzählen. Die Texte der Audiodeskription werden deshalb von speziell geschulten sehenden und blinden Autorinnen und Autoren in Teamarbeit erstellt. Bei Filmen treffen die sehenden Autorinnen und Autoren aus der Fülle der visuellen Informationen eine sinnvolle Auswahl, fixieren diese sprachlich genau und passen die Texte in die Dialogpausen ein. Nach der Fertigstellung des Rohmanuskripts werden die einzelnen Sequenzen gemeinsam mit den blinden Kolleginnen und Kollegen nach inhaltlichen und sprachlichen Gesichtspunkten geprüft. So entsteht nach fünf bis sechs Tagen ein qualitativ hochwertiges Manuskript für einen ca. 90-minütigen Spielfilm. Danach erfolgt eine redaktionelle Abnahme des Skripts durch eine Redakteurin oder einen Redakteur. Eine professionelle Sprecherin oder ein Sprecher übernimmt die Einsprache in einem Tonstudio. Die nuancenreiche Abmischung von Originalfilmton und Audiodeskription rundet den Produktionsprozess ab.
Bei der Texterstellung wird darauf geachtet, die Erzählweise des Films adäquat zu vermitteln, das heißt: die individuelle Bildsprache wird in eine ausdrucksstarke und dennoch objektive Sprache für das blinde Publikum übersetzt. Die Audiodeskription erfolgt ausschließlich in den Dialogpausen, wichtige Geräusche und Musik sollen freistehen, da sie zur Atmosphäre des Films beitragen. Jeder Film darf nicht mit Beschreibungen überfrachtet werden. Die Kunst besteht folglich darin, das richtige Maß an Informationen zu vermitteln. Die Sprechweise ist nur leicht emotional, die Sprecherin oder der Sprecher nimmt sich zurück, denn der Filmton soll im Vordergrund stehen.
Seit 2002 zeichnet der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband alljährlich die besten Produktionen mit Audiodeskription in den Kategorien „TV“ und „Kino“ mit dem Deutschen Hörfilmpreis aus.
Der Verein Hörfilm e. V. – Vereinigung Deutschsprachiger Filmbeschreiberinnen und Filmbeschreiber, der seit 2000 existiert, vertritt die erfahrenen sehenden und blinden Hörfilmautorinnen und -autoren aus Deutschland und Österreich. Der Verein engagiert sich sehr stark für die aktive Mitarbeit von blinden und sehbehinderten Autorinnen und Autoren und hat sich das Ziel gesetzt, den Beruf der Filmbeschreiberinnen und -beschreiber fest zu etablieren und weiter zu professionalisieren. Zweimal jährlich organisiert Hörfilm e. V. dazu Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen. Mit einer Hörfilmdatenbank[1] bietet der Verein einen besonderen Service an. Darin sind alle bisher auf dem deutschen Markt erschienenen Hörfilmtitel enthalten.
Die Zukunft
Trotz der steten Zunahme des barrierefreien Kino- und TV-Angebots ist der Anteil von Audiodeskriptionen insgesamt betrachtet noch immer sehr klein. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband setzt sich dafür ein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihr barrierefreies Angebot kontinuierlich ausbauen und dass die privaten Fernsehsender diesem Beispiel folgen.
Wünschenswert dabei ist, dass der Ausbau nicht mit sinkenden Produktionskosten einhergeht und damit ein Qualitätsverlust entsteht.
Nicht nur zum Kinostart sollten Filme mit einer Audiodeskription ausgestattet sein, sondern auch die Kinos sind gefragt, die Nutzung der Hörfilmfassung technisch zu gewährleisten. Die Nachverwertung der Audiodeskription auf DVD oder Blu-ray, als VoD und im TV sollte ebenfalls vorausgesetzt werden.
Bei Kinoproduktionen gibt es keine inhaltliche oder technische Abnahme der Hörfilmfassungen. Das führt zu erheblichen qualitativen Mängeln und steht im starken Kontrast zu dem eigentlichen Ziel: den ungehinderten Zugang für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigung zu schaffen. Hier wäre eine Kontrollinstanz notwendig, die die barrierefreien Fassungen vor der DCP-Erstellung nach den Standards prüft.
Der barrierefreie Zugang für blinde und sehbehinderte Menschen auch zu internationalen (synchronisierten) Filmproduktionen und zu Filmklassikern sollte selbstverständlich werden.
Es mangelt an einer flächendeckenden Sensibilisierung für die Bedürfnisse von blinden und sehbeeinträchtigten Menschen nach gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe. In Ausbildungen und Studiengängen könnte das Thema der Audiodeskription inhaltlich platziert und praktisch angewandt werden.
Zur langfristigen Qualitätssicherung könnte ein eigener Ausbildungs- oder Studiengang für den Bereich der Audiodeskription geschaffen werden.
Bundesweit werden Finanzierungsmodelle benötigt, um inklusive
Projekte professionell und regelmäßig umsetzen zu können. Aus öffentlichen
Kunst- und Kulturförderungen sollten feste Etats für inklusive Angebote (Einsatz
von Audiodeskription, Gebärdensprache, Schriftdolmetschen, Leichte Sprache
usw.) bereitgestellt werden. Im Theater- und Opernbereich und auch für die
Museumslandschaft sind gesetzliche Regelungen notwendig,
damit der barrierefreie Zugang zu Kunst- und Kulturveranstaltungen selbstverständlich
wird.
[1] www.hoerfilmev.de/datenbank.