Man sollte es wohl genauer benennen, was es heißt und warum es nötig ist, Inklusion in einer Gesellschaft zu thematisieren, aber in vielen Bereichen ist das Anliegen durchaus gegenwärtig. In öffentlichen Gebäuden oder im öffentlichen Verkehr versucht man schon in der Planung an jede Form der Behinderung zu denken und sie zu berücksichtigen. Nun fragen wir, wie halten wir es mit der Kultur, wie helfen wir allen Menschen, sich zu äußern, sich darzustellen, sich mitzuteilen und an einer gesellschaftlichen Kommunikation teilzunehmen?
Bisher wurde auch in anderen freiberuflichen Arbeitsbereichen Behinderung als persönliches Schicksal und als individuelles Problem begriffen, aber gerade hier ist nach Hilfe und Unterstützung zu fragen und zu suchen, und es ist ja auch durchaus möglich, Hilfe zu vermitteln.
Sicher, im Kulturbereich sind prekäre Lebensverhältnisse gang und gäbe, die Auseinandersetzung mit Kultur- und Kunstadministrationen sind Dauerthemen in jedem Bundesland und in den Kommunen. Man könnte warnen, hier ein neues Themengebiet vorzustellen, aber es könnte der Szene auch helfen, wenn man in die Diskussion um Förderung der Kunstbranche auch Hilfen für Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung einbringt. Stimmt, der Zeitpunkt für grundsätzliche Kunstdiskussionen ist nicht gerade günstig. Die Spardiskussionen treffen Einsparungen im Kulturetat am schnellsten, und die Lobby für den Bereich Kultur ist nicht gerade überwältigend, aber es war nie einfach, Hilfen für Produzenten und Produzentinnen im Kunstbereich anzumahnen und für sie zu werben, zumal Inklusion kulturpolitische Themen in andere Politikfelder, wie z. B. in die Sozialpolitik, bringen würde.
Im Hochschulbereich sind Verlängerungen der BAföG-Zahlungen, Verlängerungen der Termine zur Abgabe von schriftlichen Arbeiten oder auch Zusatzzeiten für das Studium selbst möglich, Asten beraten und helfen.
Sicher, es wäre jetzt sinnvoll, über Fragen der Notwendigkeit, aber auch der Sinnhaftigkeit künstlerischen Tuns zu reden, es wäre wichtig, darzustellen, dass künstlerisches Tun zum Begreifen der Gesellschaft, der eigenen Umwelt, der Natur und das Erkennen des eigenen Verhältnisses zu anderen Menschen klären kann. Kurzum, dass künstlerische Arbeit Teil einer gemeinschaftlichen Kommunikation ist, die wiederum Teilnahme und Mitwirkung an und in der Gesellschaft erst ermöglicht.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat sich immer mit Menschen mit Behinderung und ihrer Vertretung in den Betrieben durch Sonderregelungen in Tarifverträgen befasst. Eine Personengruppe Behindertenpolitik arbeitet auf Bundes- und Länderebene als Satzungsorgan in allen Belangen mit, die diesen Personenkreis betreffen könnten.
Folgende nach wie vor aktuelle Festlegungen wurden seinerzeit getroffen:
Ziel von ver.di ist die Förderung und Verwirklichung der sozialen, gesellschaftlichen und betrieblichen Gleichstellung und Integration von Menschen mit Behinderung und ihrer spezifischen Interessen. ver.di setzt sich dafür ein, dass in der Gesellschaft Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen gesichert und geschaffen werden. Gegenüber Mitgliedern mit Behinderung ist die Schutzfunktion von ver.di besonders gefordert. Behindertenpolitik ist eine zentrale Aufgabe von ver.di. Alle Organe und Gremien von ver.di fördern und unterstützen die gewerkschaftliche Behindertenarbeit. Es gilt, die Kompetenz und das Profil von ver.di in Behindertenfragen zu verdeutlichen und Mitgliederpotenziale zu erschließen.
Wie kann das konkret werden für freiberufliche Künstlerinnen und Künstler, wie kann man ihnen helfen, auch dann zu arbeiten und ihrem Beruf nachzugehen, wenn es keine tarifliche Regelungen, wie sie in Betrieben möglich sind, existieren, wenn Behinderungen die Tätigkeit erschweren? Welche Hilfen sind nötig und was muss man einrichten und anregen, um Lösungen zu finden?
Organisatorische Strukturen, wie sie für betrieblich gebundene Mitglieder schon lange bei ver.di gibt, sind durchaus anzudenken.
Es gibt ein Problem dabei. Fragen dieser Art sind in den Künstlervereinigungen, Interessensverbänden oder Fachgruppen, auch innerhalb der Gewerkschaft, selten in den Tagesordnungen aufgeführt. Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass der Künstler oder die Künstlerin mit Behinderung Schwierigkeiten in der Arbeit selten an dieser Stelle kommuniziert. Dabei sind durchaus Fälle bekannt, in denen Kolleginnen oder Kollegen auf Hilfe beim Arbeiten angewiesen sind. Lösungen sind in der Regel Helferinnen oder Helfer, die dann privat engagiert und honoriert werden, was natürlich heißt, dass es der entsprechenden Person möglich sein muss, so etwas zu organisieren und zu bezahlen.
Behindertengerechte Ateliers und Werkstätten sind ebenfalls Voraussetzung für Berufshilfen dieser Gruppe. Öffentliche künstlerische Werkstätten müssten in Lage sein, bestimmte Arbeitsgänge abzunehmen oder dabei zur Seite zu stehen, ohne dass dadurch die Betroffenen an die Grenzen ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit kommen.
Das bedeutet auch, dass finanzielle Mittel bereitgestellt werden müssen, die diese Fördermaßnahmen möglich machen, ohne aber die ohnehin schon zu schmalen Kulturetats noch einmal zu belasten, also jenseits der Kulturetats. Beratungsbüros, vorgehaltenes organisatorisches Können oder andere Formen von Anlaufstellen sind denkbar, die auch in Zusammenarbeit mit Verbänden eingerichtet werden können, was natürlich auch bedeuten würde, Personal einzustellen, damit kurzfristig das abgerufen werden kann, was zur momentanen Lösung eines Problems gebraucht wird: die dauerhafte Unterstützung. Wenn Künstlerinnen und Künstler trotz Behinderung am Kunstgeschehen und am Kunstmarkt teilnehmen können, und selbst eine Teilnahme an Wettbewerben und an Ausschreibungen, ohne Angst vor unüberwindlichen Hindernissen durch Rückgriff auf Hilfen, Realität werden können, Probleme also zu lösen sind, die selbst schon im normalen Ausstellungsgeschehen, etwa beim Aufbau einer Ausstellung, auftreten und bewältigt werden müssen, ist es nicht nur für sie oder ihn persönlich ein Erfolg. Die Künstlerin oder Künstler kann letztendlich die eigenen Lebensbedingungen normalisieren. Teilhabe wäre das Ziel, mehr Erfahrung mit der Problematik und Kommunikation mit Betroffenen wäre Voraussetzung zum Angehen dieser Fragen.
Eine solidarische Gesellschaft muss mehr bieten als nur einen abgesenkten Bürgersteig, wenn sie es ernst meint mit dem Einbeziehen aller Menschen in einen großen gemeinschaftlichen Dialog.
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